Article20. August 2024

«Die Inhalte der globalen Streaming-Plattformen werden immer ähnlicher» – Panel in Locarno mit Nicolas Steiner und Ted Hope

«Die Inhalte der globalen Streaming-Plattformen werden immer ähnlicher» – Panel in Locarno mit Nicolas Steiner und Ted Hope
© Film Festival Locarno

Anlässlich der Masterclass, die am 10. August vom Migros-Kulturprozent Story Lab in Zusammenarbeit mit dem BaseCamp in Locarno organisiert wurde, diskutierten der US-Produzent Ted Hope und der Schweizer Filmregisseur Nicolas Steiner im Gespräch mit Marcy Goldberg, die Chancen und Risiken der neuen Streaming-Plattformen für den Independent-Filmbereich.

Die Diskussion war vor allem durch die unterschiedlichen Perspektiven der beiden Gäste geprägt. Nicolas Steiner, der für Netflix die True-Crime-Serie «Dig Deeper» realisiert hat, erinnerte daran, dass es neben den grossen VoD-Player, auch kleinere Plattformen gebe, die kuratierte Inhalte und alternative Strukturen bieten. Entscheidend sei, je nach Art der Geschichte und der gewünschten Erzählweise eine bewusste Wahl zu treffen.

Bei der Zusammenarbeit mit den grossen Streaming-Diensten seien die Buyouts, die von diesen Plattformen geboten werden, oftmals nicht ausreichend, um Filmschaffende angemessen zu entlohnen. Besonders im Hinblick auf die «Lex Netflix» müsse deshalb über Residuals gesprochen werden, um sicherzustellen, dass Filmschaffende, insbesondere in der Schweiz, eine faire Vergütung und Beteiligung am Erfolg ihrer Werke erhalten.

Ted Hope hingegen, stellte die Inhalte der globalen Streaming-Plattformen in Frage. Das primäre Ziel dieser Plattformen sei nicht, Vielfalt zu fördern, sondern Zuschauer:innen dazu zu bringen, immer wieder ähnliche Inhalte zu konsumieren. Dies führe dazu, dass Inhalte weltweit zunehmend gleichförmig werden, was nicht nur kulturelle Unterschiede verwische, sondern auch die Menschlichkeit und Empathie im Medienkonsum untergrabe. Diese Entwicklung könnte laut Hope sogar die Fähigkeit der Menschen beeinträchtigen, neue Denkweisen zu entwickeln.

Obwohl Streaming-Plattformen enorme Chancen böten, stünden sie häufig im Widerspruch zu künstlerischen und ästhetischen Ambitionen sowie der Bereitschaft, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Der Wettbewerb um Marktanteile zwinge die Plattformen zu Kompromissen bei der Qualität ihrer Inhalte. Dabei sei die Diversität des Publikums nicht unbedingt ein Zeichen dafür, dass Vielfalt gefeiert werde – vielmehr schaffe das Geschäftsmodell der Plattformen eine globale Gleichförmigkeit.

Die Energie, die ich von meinem letzten Kinofilm erhielt, trägt mich bis heute und hilft mir bei meinen kommenden Projekten»– Nicolas Steiner, Filmregisseur

Nicolas Steiner vermisst wiederum vermisst hingegen im Vergleich zu einem Kinostart bei einem Streaming-Start die unmittelbare Reaktion des Publikums. Diese gebe ihm jeweils Energie für seine Arbeit. «Die Energie, die ich von meinem letzten Kinofilm erhielt, trägt mich bis heute und hilft mir bei meinen kommenden Projekten», so der Filmemacher. Trotz der positiven Erfahrungen mit Netflix bedauert Steiner den Mangel an direkter Interaktion mit dem Publikum bei einem Streaming-Start. Am Schluss appellierte er an die jungen Filmschaffenden: «Geht raus und kämpft für die Geschichten, die ihr sehen oder erschaffen wollt».

«Geht raus und kämpft für die Geschichten, die ihr sehen oder erschaffen wollt»– Nicolas Steiner, Filmregisseur

Im Anschluss an der Masterclass fand im schönen Innenhof des Istituto Sant’Eugenio in Locarno ein Apero statt, an dem sich junge Filmschaffende mit Menschen in- und ausserhalb der Branche austauschen konnten. Der Anlass wurde organisiert vom Migros-Kulturprozent Story Lab in Zusammenarbeit mit dem BaseCamp, dem Nachwuchsprogramm des Locarno Film Festivals.

Das Story Lab versteht sich als Ideenlabor für alle audiovisuellen narrativen Formaten. Der Förderfokus liegt auf dem Weg zur Verwirklichung einer Idee. Das Migros-Kulturprozent Story Lab will damit Freiräume zum Experimentieren und Ausprobieren schaffen und so den Austausch zwischen den einzelnen Player:innen innerhalb und ausserhalb der Branche fördern.

«In einem kleinen Land wie der Schweiz, in dem die Akteure der Branche relativ bekannt sind, ist es entscheidend, dass verschiedene Stimmen gehört werden. Die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, sei es in audiovisuellen Medien oder in der Literatur, stellt eine Form der Mitsprache und Einflussnahme dar. Wir glauben, dass es wichtig ist, sich Themen aus verschiedenen Perspektiven zu nähern», so die Leiterin des Story Labs Tenzin Roder zum Magazin Variety. Weiter betonte sie die Bedeutung des anonymisierten Jury-Prozesses und das Angebot von Coaching- und Mentoring-Möglichkeiten.

Weitere Infos zum Migros-Kulturprozent Story Lab findest du hier

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