Kurzbeschreibung
Ein kleines Fischerdorf in Japan. Am Horizont berühren sich die Unendlichkeiten von Himmel und Meer. Die Häuser sind um einen Ansatz von Bucht herum gruppiert, um einen Hafen, der mit einer von zwei Seiten her aufgeschütteten Mole dem grossen Wasser abgerungen wurde. Trutzig liegen die mehrzackigen Betonblöcke ineinander verkeilt. Alles ist an diesem Flecken Welt aufs Meer ausgerichtet, und gleichzeitig scheint das Meer sich in den Menschen, die da leben, zu spiegeln. Das Grosse findet sich im Kleinen wieder. Der 34jährige Japaner Hirokazu Kore-eda gehört zur jungen Generation von Filmschaffenden in seiner Heimat. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich als Dokumentarfilmer fürs Fernsehen. So ist er auch aufs Thema seines ersten Spielfilms gestossen - oder müsste man doch besser sagen: auf den Ausgangspunkt zu seiner Meditation über das Leben, über die menschliche Existenz? «Ich habe 1991 einen Dokumentarfilm über eine Frau gedreht», erklärte der junge Regisseur bei seinem Besuch in der Schweiz, «deren Mann sich 1990 das Leben genommen hatte. Er war in Umweltfragen engagiert und dennoch involviert in einen Quecksilberskandal, der in verschiedenen Gerichtsverfahren mündete. Irgendwann mochte er nicht mehr.» Und plötzlich war die Frau allein.
Auch nach der damaligen Filmarbeit hätte er weiter Kontakt mit der Witwe gehabt und sich vom Thema der «Trauer» nicht mehr trennen können, erzählt Kore-eda. Er trug ihre Erfahrungen in einem Buch zusammen und stiess gleichzeitig auf eine literarische Vorlage, die eine vergleichbare Geschichte erzählte. Dieses Buch trug den Titel «Maboroshi no hitari» (Das Licht der Illusion). Die persönliche Erfahrung mit der trauernden Frau und das literarische Werk wurden zum Point de depart für Hirokazu Kore-eda erstes Spielfilmprojekt. Hier konnte es nicht mehr um eine Bestandsaufnahme an der Oberfläche gehen: Der Regisseur versuchte, das Unaussprechliche visuell umzusetzen. Dabei schien ihm «hitari», das Licht aus dem Buchtitel, zentral zu werden: ein eigentliches Leitmotiv. Er schuf mit Licht und Schatten einen Film zum Thema Trauer und weitet über die Tonspur den Raum soweit, dass Widerhall entsteht.
Yumiko, eine 25jährige Frau aus Osaka, heiratet mit Ikuo jenen Mann, den sie als Reinkarnation ihrer Grossmutter wahrnimmt. Sie war gerade zwölf Jahre alt, als diese sich zum Sterben an den Ort ihrer Kindheit aufmachte, und Yumiko sie nicht aufhalten konnte. Zusammen mit Ikuo hat sie einen Sohn, der gerade drei Monate alt ist, als gemeldet wird, dass der Vater sich unter einen Vorortszug gestürzt hätte. Zurück bleibt ein Schuh und das Glöcklein, das die Frau ihrem Geliebten als Schlüsselanhänger geschenkt hatte. Über die Vermittlung einer Nachbarin findet Yumiko fünf Jahre später einen anderen Mann, der seinerseits die Frau verloren hat und mit seiner kleinen Tochter in jenem Fischerdorf am Meer lebt. Kore-eda setzt diesen spärlichen Handlungsfaden in meditativ wirkende Bilder um, in denen die Menschen sich immer wieder in Durchgängen befinden, aus dem Dunkeln auf ein Licht zustreben, wo eine Farbe dominiert: Das Blau. Einem Subplot gleich setzt er den Ton ein, schafft sowohl mit der Musik seines taiwanesischen Komponisten als auch mit ganz alltäglichen Geräuschen Raum. Wie das Licht im Bild scheint der Glocken-Klang im Ton eine Konstante zu schaffen und die Betrachtenden zu führen.
Man kann Hirokazu Kore-edas filmische Sprache vergleichen mit älteren asiatischen Regisseuren, etwa in ihrer Beschaulichkeit mit dem Taiwanesen Hou Hsiao-hsien («Der Puppenmeister»). Gleichzeitig ist bei ihm aber auch eine japanische Tradition spürbar, die von Yasujiro Ozu vorgezeichnet ist, zumindest was den Umgang mit den Figuren einer Familie im Cadre des Bildes betrifft. Tief ist Kore-edas Kameraposition, auf der Augenhöhe des japanischen Sitzens (die auch der Augenhöhe des stehenden Kindes entspricht). Fix sind die meisten seiner Einstellungen, geprägt von architektonischen Elementen wie Türen und Fenster, die die Bilder stets in sich noch einmal cadrieren. Aus alledem ergibt sich eine innere Ruhe, die dem Lot entspricht, das der Filmemacher in die Seele der Trauernden zu halten scheint.
Wie zeigt sich dieses visuelle Erzählen? Yumi-ko hat ihren Geliebten verloren, an einem regnerischen Tag und somit doch nicht ganz aus heiterem Himmel. Sein Tod ist vorweggenommen, indem Kore-eda ihn einmal am Fuss des Bahndamms mit dem daherbrausenden Zug wettfahren lässt. Im Bild fährt der Zug auf dem Bahndamm über dem Radler auf der Strasse unten hinweg. Gleich mehrmals riskiert der Filmemacher die schwarze Leinwand, das Dunkel, das Teil des Lebens ist, das Dunkel, ohne das das Licht keine Qualität hätte. An jenem Tag, der Ikuos letzter werden sollte, folgt Yumiko ihm auf die Strasse, schaut ihm nach. In Einstellungen wie dieser wird spürbar, wie stark sich Kore-eda mit dem unvorbereiteten Abschiednehmen befasst hat, ist es doch gerade dieser letzte Blick auf eine geliebte Person, der den Zurückbleibenden nie mehr verlässt.
Die Frau aus der Stadt findet Halt im Dorf auf dem Land. Das ist für den Filmer wohl weniger ein kritischer Ansatz als ein künstlerischer: Hier lässt sich das Innen im Aussen spiegeln, lässt sich der jahrelange Prozess vom Hinaustreten aus dem Schatten, vom Zurückfinden ins Licht, von der Gefahr, einer leuchtenden Illusion nachzurennen, visuell stark umsetzen. Denn was gewesen ist, ist nie vorbei. Wenn Yumiko nun nach Osaka fährt, so ist ihr Geliebter an all den Orten präsent, an denen sie gemeinsam lebten. Wenn hinter ihr in der Strasse eine Velofahrerin klingelt, so ist er, und sei es für den Bruchteil einer Sekunde, da. «Maboroshi no hikari» ist auch ein Film über die Präsenz der Absenz. Die grosse Kunst von Kore-eda ist es, dieses Gefühl zu vermitteln, dieses Licht ins Dunkle der Trauer zu setzen. Es gibt eine ganze Reihe von Schlüsselbildern, die für sich allein stehen können, offen wie ein Haiku. Eine davon wäre jene Einstellung Schienenbus, in der sich der Blick aus 180 Grad Fenster öffnet: Man steht still im Innern und draussen bewegt sich die Welt. Erst am Ende des Films spricht Yumiko am Meer die alles bewegende Frage aus: «Ich verstehe es einfach nicht, warum hat er sich umgebracht?» Und Tamio, ihr neuer Mann, sagt: «Das Meer kann dich in seinen Bann ziehen. Früher, als Vater noch Fischen ging, sah er einmal weit draussen auf dem Meer ein "Maboroshi" - ein Licht der Illusion. Etwas hat ihn dorthin gewinkt, sagte er. Und das kann jedem passieren.» Die beiden Figuren sind in diesem Moment zwei gespiegelte Schatten, und ihre Spiegelung im Wasser wirkt grösser als ihr realer Körper. «Bereit, geh den Abhang hinauf», sind die letzen Worte. [Pressetext]
Kinostart
Deutschschweiz: 29. November 1996
Romandie: 10. Januar 1997
Regie
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