Pressetext
Nachleben
Gleich nach dem Himmelstor, an dem wöchentlich einmal die frisch Verstorbenen eintreffen, erwartet die Neuankömmlinge eine Überraschung. Jede Seele wird im Verlauf eines Gesprächs gebeten, aus ihrem irdischen Dasein eine Erinnerung auszuwählen, und zwar jene, die ihr besonders lieb und wertvoll erscheint und die sie als ewige Identität behalten und mit ins Jenseits nehmen möchte.
Jede Gruppe verbringt nun eine Woche in dem Übergangsbereich damit, den entscheidenden Augenblick im Leben zu bestimmen. Angeleitet und begleitet werden die Leute unterschiedlichen Alters von Verstorbenen, die es selber (noch) nicht geschafft haben, ihre eigene liebste Erinnerung zu wählen. Ziel des individuellen Nachdenkens ist es, in der zweiten Wochenhälfte einen Kurzfilm zu drehen, in dem die ausgewählte Szene im Mittelpunkt steht. Aus dieser Anlage entwickelt der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda, von dem bei uns bereits der traumwandlerisch feinsinnige Erstling «Maboroshi no hikari» zu sehen war, eine universelle Geschichte, die den mehrdeutigen Charakter des menschlichen Gedächtnisses untersucht, den Ort, an dem sich Realität und Fiktion vermischen. Höchstens im Leben selber geschieht das intensiver als im Kino. «After Life» ist ein Film, der federleicht zwischen Erde und Himmel schwebt und uns über unser Dasein sinnieren lässt.
"Die Identität eines jeden ist zutiefst an die Erinnerung gebunden", sagt der Japaner Hirokazu Kore-eda. Auf den Leinwaänden der Welt kondensieren die Erinnerungen verschiedenster Menschen aus unterschiedlichsten kulturellen Zusammenhängen immer wieder zu wunderbaren Filmbildern, die mal die Nähe zur Realität suchen können und sich mal möglichst weit von ihr weg bewegen möchten. In «After Life» treffen wir auf beides in einem: Wir befinden uns in einem erdachten Raum ausserhalb des Lebens, an einem Ort, an den Menschen nach dem Tod hin gelangen. Dort wirkt alles real, wenn auch geprägt von einer wohltuenden Ruhe, die es den hier Eintreffenden ermöglichen soll, gleichsam den Frieden mit sich selber zu finden. Der dürfte sich dann einstellen, wenn wir uns über unsere eigene Identität klar geworden sind.
Hirokazu Kore-eda hat schon mit seinem Erstling "Maboroshi no hikari" einen traumwandlerischen Film über letzte Fragen des Seins gestaltet. Jetzt erfahren seine Figuren nach ihrem Tod noch einmal Lebens-Realität, und weil es diese für sie nach dem Ab-Leben nicht mehr gibt, darf jede einzelne am Ende ihren liebsten Augenblick noch einmal in Szene setzen. Damit bringen junge wie alte Menschen in dem Zwischenraum zwischen dem Dasein und dem Dortsein nicht nur ihr eigenes Leben auf einen Punkt: Regisseur Kore-eda schafft so auch bravourös den Bogen vom Leben zur Erinnerungsmaschine Kino und zurück. Erinnerung und Realität werden in dem Moment eins, da wir sie akzeptieren. Über eine jener Figuren, die mit der Erinnerungsarbeit bei sich selber Mühe bekunden, erfahren wir als lebend Sehende: Die Erinnerung eines anderen kann uns die eigene Existenz womöglich erst richtig sinnlich erfassen lassen. Da sind wir wieder voll im Kino.
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