Anime Nere Frankreich, Italien 2014 – 109min.

Filmkritik

Mafia-Tragödie à la Shakespeare

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Das alte Lied: Junge Leute wollen raus aus ärmlicher familiärer Enge, wollen Karriere mache, halten gleichwohl an alten Traditionen und Bindungen fest – zumindest in Kalabrien. Francesco Munzis Clandrama um "schwarze Seelen" ist ein düsterer, packender Sozialthriller um die kalabrische Mafia. Ein Meisterwerk.

Ziegen hüten, ist eigentlich nicht sein Ding. Er bewundert seine Onkel in Mailand, die mit krummen Geschäften auf Erfolgskurs segeln. Mafiosi aus Kalabrien eben, die so genannte Ndrangheta: Africo. Leo (Giuseppe Fumo) verachtet seinen Vater Luciano (Fabrizio Ferracane), weil er daheim geblieben ist als Weinbauer und seinen kriminellen Brüdern nicht gefolgt ist. Und so nimmt der junge Bursche auch mal kurzerhand eine Knarre und ballert auf ein Café, um bei einem befeindeten Clan Eindruck zu machen. Dabei ahnt er nicht, welche Lawine der Gewalt er lostritt.

Heissblut Leo haut ab nach Mailand, biedert sich den Onkeln Luigi (Marco Leonardi), dem Kraftmeier und Akteur, und Rocco (Peppino Mazzotta), dem Besonnenen und Intellektuellen, an. Leo will mitmachen, er sucht Anerkennung. Seine als Denkzettel gedachte Ballerei in tiefster kalabrischer Provinz hat jedoch Konsequenzen. Luigi soll schlichten, doch er provoziert – und wird erschossen. Das ist der Beginn einer Gewaltspirale, die wie in einer Shakespeare-Tragödie alle in den Untergang reisst.

Francesco Munzis gnadenloser Mafiathriller basiert auf dem Buch "Anime nere" von Gioacchino Criaco und er drehte justament in dieser Region, in der die Ndrangheta beheimatet ist und die sie beherrscht. Die kalabrische Mafia ist stark durch Blutsbande, das bedeutet: einzelne Familien bilden Gruppen oder Clans. Und so schildert Munzis Film eben auch eine Familiengeschichte, nicht so ausgedehnt, üppig und epochal wie Francis Ford Coppolas Sittenepos Godfather, aber auch nicht weniger packend, dramatisch und vernichtend.

Natürlich spielt das Menschliche, das Allzumenschliche bei Munzi eine tragende schicksalhafte Rolle. Im Gegensatz zu vielen Mafiafilmen verzichtet Munzi auf Glamour, wilde Action oder tragende Frauenrollen (Frauen sind bei ihm nur trauernde, ohnmächtige Opfer). Ihm geht es um die "armen Seelen", die von Traditionen, Umständen und fremden Kräften bestimmt und fehlgeleitet sind.

Munzis karges, aber eindringliches Sittenbild im Stile eines Pasolini ist ein Meisterwerk – auch angesichts des Hollywood-Bombardements tumber hirnloser Action- und Gewaltstreifen.

07.08.2015

5

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Kommentare

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caravaggio

vor 9 Jahren

authentisch, unprätentiös, ruhig, reduziert, kurzweilig, spannend.. ein blick dahinter.. kafkaesk, menschlich, familär.. mafia.. weit weg von hollywood.. und doch so nah.. so real. ein film mit sehr viel detailliebe, einem langen atem.. der in einfachen (schönen) bildern, mit wenigen worten, gesten, wenig action.. und "einfacher, (filmisch "harmloser") gewalt".. so nah im realen leben bleibt, dass uns jeder schuss uns selbst trifft, viel härter und realer.. als im fiktiven schein so mancher hochglanzkamera. für den, der gutes realistisches kino und "reale mafiawelten" weit ab von hollywood interessiert..Mehr anzeigen


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