J'accuse Frankreich, Italien 2019 – 132min.

Filmkritik

„Ich klage an“

Peter Osteried
Filmkritik: Peter Osteried

Die Kombination Roman Polanskiund Schriftsteller Robert Harris war schon bei The Ghostwriter erfolgreich, nachdem das Projekt zuvor, eine Verfilmung des Romans „Pompeji“, in die Binsen ging. Nun stellt Polanski sein neuestes Werk vor, das von Harris als Roman umgesetzt wurde, aber faktennah ein wichtiges Ereignis der französischen Historie erzählt.

Die Geschichte ist auch ausserhalb Frankreichs bekannt, dort aber sicherlich relevanter, was Polanski seinen erfolgreichsten Kinostart seit vielen Jahren beschert hat. In den ersten zwei Wochen wollten fast 900.000 Franzosen die gut 22 Millionen Euro teure Produktion sehen.

Am 5. Januar 1895 degradiert man den jüdischen Offizier Alfred Dreyfus wegen Hochverrats und schickt ihn auf die Teufelsinsel, um dort lebenslang einzusitzen. Zeuge der Degradierung war auch Marie-George Picquart, der wenig später zum Chef des Geheimdienstes wird und immer mehr daran zweifelt, dass Dreyfus wirklich schuldig ist. Er glaubt, dass es jemand anderes war, der den Deutschen militärische Geheimnisse verraten hat. Doch ausser ihm ist niemand an der Aufklärung interessiert – und für Picquart wird es deshalb gefährlich, weiter in dieser Sache zu ermitteln.

Die Geschichte ist akkurat erzählt, es hilft aber sicherlich, wenn man die historischen Ereignisse gut kennt. Denn vor allem zu Beginn überschlagen sich die Ereignisse etwas, und die Narrative wird durch Rückblicke noch verkompliziert. Hier hat man das Gefühl, als bekäme man nicht immer alles zu sehen, was damals historisch relevant war. Das legt sich jedoch im Verlauf, je mehr es dann darum geht, dass Oberst Georges Picquart versucht, die Verschwörung aufzudecken, deren Ziel es ist, das Ansehen der Armee zu wahren - auch wenn dafür ein Unschuldiger in Haft bleiben muss.

Jean Dujardin spielt das äusserst gut. Seine Präsenz hilft dem Film enorm. Ansonsten überzeugt J'accuse durch eine exakte Darstellung der damaligen Zeit: Der Film sieht geradezu atemberaubend gut aus. Der Originaltitel J‘accuse bezieht sich auf den Text von Émile Zola, mit dem er die Generäle, aber auch Anwälte und Gutachter anklagte, bewusst einen Unschuldigen hinter Gitter gebracht zu haben. Ein damals aufsehenerregender Text, für den Zola auch wegen Verleumdung der Armee angeklagt wurde - etwas, das Film aufgreift, aber noch etwas detaillierter hätte darstellen können.

Ein wenig trocken mag J‘accuse bisweilen schon anmuten, weil trotz der skandalösen Geschichte emotional mitreissender Furor eher nicht geboten wird. Dafür ist er exakt erzählt und bietet eine interessante Geschichtsstunde, die vielleicht nicht unbedingt zu Roman Polanskis grössten Werken gehört, nichtsdestotrotz aber durchaus sehenswert ist.

12.02.2020

4

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Kommentare

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shahira

vor 4 Jahren

spannend gut recherchiert


soda4yoda

vor 4 Jahren

Sehr gut, sowohl inhaltlich als auch handwerklich. Ich fand es sehr interessant zu sehen wie die Gesellschaft von vor 120 Jahren funktionierte, also kurz vor der Elektrifizierung und Automobilisierung. Und natürlich diese preussische Art die auch in der französischen Armee ausgeprägt war. Ich finde das Polanski auf intelligente Weise auch mit diesem historischen Stück unsere heutige Politik im Kern trifft und kritisiert.
Amüsant zu sehen, wie der Geheimdienst auch schon dort die neuesten technischen Errungenschaften verwendet hat.
Und natürlich die Frage der Ehre eines Mannes.
Auch interessant wie das Rechtssystem eigentlich sehr fortgeschritten war.
Also rundum ein gelungener Film.Mehr anzeigen


thomasmarkus

vor 4 Jahren

Eigentlich erwartete ich nicht unbedingt eine Geschichtslektion - der Plot wäre bekannt: Unschuldig verurteilt - dank Schriftsteller rehabilitiert. Mehr hab ich im Geschichstunterricht auch nicht gelernt. Um so überraschender, dass der erste Revisionsprozess zum gleichen Urteil f¨ührte. Und zur Verureilung Zolas. Da macht die Geschichte (nicht der Film) ganz unerwartete Wendungen.... So hat mich die Verfilmung motiviert, die Sache genauer nachzulesen - dauerte fast länger als der Film. Und war ebenso spannend wie bedrückend. Der Antijudaismus, aufgepeitscht und breit verankert... bis hin zu den Spätfolgen der Affäre, dem radikalen Laizismus, der Frankreichs Selbstverständnis bis heute prägt...Mehr anzeigen

Filmenthusiast

vor 4 Jahren

Ihr Kommentar ist voll von Spoilern!!!

Zuletzt geändert vor 4 Jahren


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