Eileen Korea, Republik (Süd), Grossbritannien, USA 2023 – 96min.
Filmkritik
Sexy Tagträume und brutale Gewaltphantasien
Jazzklänge, tiefer Winter in einer amerikanischen Kleinstadt und zwei Frauen, die sich näher kommen. «Eileen» ist ein kompakter und durch und durch spannender Psychothriller mit Elementen des Film noir, den sich Genrefans nicht entgehen lassen sollten.
Eileen lebt in einer kleinen Stadt bei ihrem alkoholkranken Vater und arbeitet als Sekretärin in einer Strafanstalt für Jugendliche. Ihre Sehnsucht nach menschlicher Nähe und Zuneigung scheint sich endlich zu erfüllen, als die Psychiaterin Rebecca im Gefängnis anfängt. Die glamouröse Frau freundet sich mit der zurückhaltenden Eileen an und möchte schliesslich sogar den Weihnachtsabend mit ihr verbringen. Doch anstatt der erhofften Zärtlichkeiten verstrickt Rebecca sie in ein schockierendes Verbrechen.
Eine winterliche Kleinstadt irgendwo im Nirgendwo der USA, eine blonde Schönheit verzaubert ein brünettes Mauerblümchen, die sexuellen Spannungen nehmen zu – die Parallelen zu «Carol» sind vor allem zu Beginn von «Eileen» bezeichnend. Doch im Verlauf dieser stark am Film noir orientierten Geschichte werden mehr und mehr Verbindungen zu dem Liebesdrama gekappt, als «Eileen» sich den dunklen Seiten der menschlichen Psyche zuwendet.
«Eileen» ist eine düstere Mischung aus Charakterstudie und Psychothriller und strahlt, ohne es zu sehr darauf anzulegen, eine Retro-Atmosphäre aus, die an 90er-Jahre Fernsehabende, dicke Wollsocken, Kaminfeuer und Stephen-King-Romane denken lässt. Das beginnt direkt mit den Opening Credits, der perfekt gestalteten Titel-Einblendung und setzt sich mit dem jazzigen Soundtrack von Richard Reed Perry fort, der an Film noir Detektivgeschichten und «Twin Peaks» erinnert.
Nach «Lady Macbeth» (2016) ist «Eileen» der zweite Spielfilm des britischen Regisseurs William Oldroyd und stellt erneut weibliches Begehren in den Mittelpunkt. Vor allem zu Beginn des Films überraschen Eileens sexuelle Tagträume in ihrer offenen Darstellung – ebenso wie ihre immer wieder auftauchenden Gewaltphantasien gegenüber sich selbst oder ihren Mitmenschen. Bald wird klar, dass sich hinter Eileens zurückhaltender Fassade möglicherweise ein verstörendes Innenleben befindet.
Vor allem anderen ist «Eileen» deshalb eine vielschichtige Charakterstudie, die die Abgründe ihrer Figur in sich ständig entwickelnden und deshalb stets spannenden Höhen und Tiefen der Handlung auslotet. In knackigen 97 Minuten Laufzeit entsteht so ein überaus sehenswerter Thriller, dessen Höhepunkt neben der bravourösen Leistungen von Thomasin McKenzie und Anne Hathaway die bemerkenswerte Darstellung von Marin Ireland steht. Ein Must-See!
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