Filmkritik
Prediger auf Abwegen
"The Apostle" ist praktisch ein Soloprojekt: Robert Duvall bekleidet - wie Warren Beatty in Bulworth - die vier cinematographischen Königspositionen alle selber: er schrieb das Drehbuch, führte Regie, produzierte den Film und spielt die Hauptrolle, die ihm seine sechste Oscarnominierung eingebracht hat. Er spielt den Wanderprediger "Sonny", der sich nach einem gewalttätigen Ausbruch eine neue Identität aufbauen muss.
Eine kleine Kirchgemeinde in Texas: Inmitten von klatschenden Menschen döst der zwölfjährige Sonny vor sich hin, während vorne ein Prediger singend und tanzend das Evangelium verkündet. Geprägt von solchen intensiven Erfahrungen, entwickelt sich auch Sonny zu einem Glaubensverkünder. Er wird fromm und populär, aber er ist auch impulsiv und exzentrisch. Jahre später: Sonnys Glück scheint perfekt: Er ist verheiratet mit der schönen Jessie (Farrah Fawcett), hat zwei nette Kinder und ist Pfarrer einer treuen Kirchgemeinde. Als er seine Gattin mit dem jungen Kollegen Horace (Todd Allen) beim Ehebruch erwischt, bricht die heile Welt zusammen. Und als ob eine Hiobsbotschaft nicht genug wäre: Die untreue Gattin agitiert im Kirchenrat, bis dieser Sonny aus seinen Diensten entlässt. Das ist selbst für den Frömmsten zuviel. Nach dem alttestamentarischen Motto "Auge um Auge, Zahn um Zahn" schlägt er den Nebenbuhler mit einem Baseball-Schläger nieder. In Texas kann er natürlich jetzt nicht mehr bleiben. Da "Körperverletzung" sich nicht gut macht im Lebenslauf eines christlichen Predigers, verschafft sich Sonny eine neue Identität und pilgert nun als "der Apostel" durch die Südstaaten.
Robert Duvall arbeitete über den Zeitraum von dreizehn Jahren an diesem Film. Das unerschöpfliche Mass an Energie und Ausdauer, das er in seine Ein-Mann-Show gesteckt hat, charakterisiert auch seine Hauptfigur. Pausenlos predigt, bekehrt und verkündet dieser Sonny. Mit Charisma und Tatendrang krempelt er auf seiner Flucht eine ganze Kleinstadt um, in welcher er die alte Kapelle renoviert und nebenbei als Mechaniker, Kellner und Eisverkäufer jobbt, um die neue Kirchgemeinde zu finanzieren. Und weil auch eine Romanze nicht fehlen darf, verliebt er sich ausserdem in die Sekretärin des Lokalradiosenders (Miranda Richardson).
Das Ganze hört sich nach reichlich Abwechslung und rasantem Tempo an. Doch genau hier liegt auch die Crux dieses Films: Einen solchen mehr als zweistündigen Marathon hält selbst ein alter Routinier wie Robert Duvall nicht durch. Die anfangs beeindruckenden Predigten mit den mitreissenden Gospel-Szenen verlieren nach etlichen Wiederholungen an Wirksamkeit. Der fanatische Eifer, mit dem der Apostel zu Werke geht, sein unerschütterlicher Glaube lassen ihn gewissermassen Berge versetzen. Aber Glaube erfordert Kraft. Wenn etwa ein rassistischer Störenfried (Billy Bob Thornton) Sonnys Kirche mit einem Bulldozer dem Erdboden gleichmachen will, durch die Worte des Predigers jedoch innert Minuten vom Saulus zum Paulus wird, dann fühlen wir schon mal den kalten Atem des Unglaubens im Nacken.
"The Apostle" ist für Robert Duvall-Fans sicher empfehlenswert. Auch Leute mit einer Vorliebe für die typisch amerikanische Verbindung von Religion mit Showelementen dürften auf ihre Kosten kommen. Alle anderen sollten sich auf zwei lange Kinostunden gefasst machen. Amen.
Dein Film-Rating
Kommentare
Eigentlich mag ich Duvall in früheren Filmen als Schauspieler sehr, dass er aber als Regisseur nicht die Klasse anderer Top-Schauspieler (zB: Clint Easwood) aufbringen kann, hat er uns leider mit diesem Film demonstriert. Eigentlich keine schlechte Idee, aus der zumindest ein "guter" Film hätte gemacht werden können - zum Beispiel das Ende war ziemlich bewegend! Aber bis es dann zu diesem Ende kommt, dauert es ganz einfach viel zu lange. Der Film ist extrem langatmig und verliert dadurch sehr an Interesse.… Mehr anzeigen
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