Filmkritik
Vier Überlebende des Holocaust
Bereits ein Jahr ist es her, als "The Last Days" mit dem Oscar für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde. Nun hat diese erste Kino-Produktion aus dem Hause der von Steven Spielberg gegründeten Stiftung "Survivors of the Shoah Visual History Foundation" endlich den Weg in die Schweiz gefunden. Im Mittelpunkt stehen die aufwühlenden Erlebnisse von vier Überlebenden des Holocaust.
Was würden Sie mitnehmen, wenn man Ihnen sagte, Sie würden in zehn Minuten abgeholt und nie mehr in Ihre vier Wände zurückkehren? Die knapp 20-jährige Renée Firestone entschied sich für ihren Badeanzug, den ihr der Vater vor einigen Jahren geschenkt hatte. Sie wollte etwas mitnehmen, das sie an das "gute Leben" erinnerte. Sie zog den Badeanzug unter ihren Kleidern an, damit er ihr nicht abhanden kommen sollte. Kurz darauf, es war das Jahr 1944, wurde die Familie Firestone nach Auschwitz deportiert, die Mutter unmittelbar nach der Ankunft selektiert und vergast. Renées Schwester überlebte Auschwitz ebenfalls nicht, der Vater starb kurz nach der Befreiung des Vernichtunslagers durch die sowjetischen Truppen.
Die Auseinandersetzung mit der eigenen unauslöschbaren Vergangenheit, mit dem Grauen der Shoah, die alle gültigen Werte in ihr Gegenteil zu verkehren schien, steht im Mittelpunkt dieses Dokumentarfilms. In "The Last Days" wird die persönliche Auseinandersetzung mit einer Reise verbunden, die vier Überlebende des Holocaust je an die Orte des Grauens zurückführt. Regisseur James Moll, der mit diesem Film bereits seine dritte Arbeit zur Geschichte des Holocaust vorlegt, inszeniert mit grosser Zurückhaltung: Es gibt keine Kommentare aus dem Off, wenn Menschen zu Wort kommen, dann sind es Zeitzeugen. Auf Effekt-Hascherei hat er weitgehend verzichtet. Dafür ist den Filmemachern, zu denen als ausführender Produzent auch Steven Spielberg gehört, zu danken. Einzig mit der wehmütigen Musik von Hans Zimmer wird zeitweise etwas dick aufgetragen. Die Tragik der hier portraitierten Schicksale macht einen solchen musikalischen Kommentar eigentlich überflüssig. Zu den stärksten Momenten des Films zählen denn auch die Szenen, in denen die von der Erinnerung überwältigten, um Worte ringenden und gleichzeitig gegen die Tränen kämpfenden Protagonisten von gänzlicher Stille umgeben sind. Nur auf diese Weise wird die Tatsache überhaupt fassbar, wie allein die Überlebenden der sogenannten "Endlösung" mit Ihrer Trauer am Ende immer bleiben. Die den Film bestimmende Opferperspektive wird nur im Fall des SS-Arztes Hans Münch verlassen. Die Stellungnahmen des einstigen Leiters des "Hygiene-Instituts" in Auschwitz sind derart sachlich und immer noch von nationalsozialistischem Gedankengut geprägt, dass man ernsthaft daran zweifelt, ob dem Greis überhaupt je eine persönliche oder historische Schuld zu Bewusstsein gekommen sei.
Bedenkt man, dass es der Stiftung "Survivors of the Shoah Visual History Foundation" mit ihren Produktionen nicht zuletzt darum geht, einen Erziehungsbeitrag zu religiöser und kultureller Toleranz zu leisten, dann mag vielleicht befremdend wirken, dass "The Last Days" historische Hintergründe lediglich in Form von Schlaglichtern darstellt. Ganz dem Prinzip des "Edutainment" verpflichtet, ersetzen hier die individuellen Leidensgeschichten einen faktenschweren Geschichtsunterricht. Dass dies eine nachhaltige Geschichtsvermittlung nicht einfach ersetzen kann, liegt auf der Hand. Aber auf jeden Fall gelingt es James Moll, mit "The Last Days" eine Betroffenheit zu schaffen, die einen sprachlos lässt.
Weitere Informationen auf der offiziellen Homepage
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