Filmkritik
Vater, Sohn und Libido
Peter Greenaway gehörte mit David Lynch und Takeshi Kitano zu den prominenten "Verlierern" des diesjährigen Filmfestivals von Cannes, weil ein weiterer Querschläger der Filmwelt, nämlich Jurypräsident David Cronenberg, es vorzog, unbekanntere Leute mit der Goldenen Palme zu bedenken. Aber auch in der internationallen Fachpresse ist der Film nicht auf Wohlwollen gestossen, soweit er überhaupt Beachtung fand.
Im Zentrum von "8 1/2 Women" stehen zwei Männer. Philip Emmenthal (John Standing) ist ein Geschäftsmann in Genf, der seinen Reichtum aus achteinhalb Spielsalons in Kyoto speist. Sein Sohn Storey (Matthew Delamere) kümmert sich vor Ort um die Geschäfte und steht auf Erdbeben. Nach dem plötzlichen Tod der Ehefrau bzw. Mutter hilft der Sohn dem Vater über dessen Schmerz hinweg, erst mit inzestuösen Intimitäten im elterlichen Schlafzimmer, dann mit Fellini-Filmen, dann mit einem interessanten Plan: Die beiden sollen ihre sexuellen Fantasien Wirklichkeit werden lassen, indem sie sich im herrschaftlichen Landsitz von Philipp einen Harem zulegen. Also beginnen sie Frauen zu sammeln, manche in Kyoto, andere in der Schweiz, achteinhalb insgesamt. Sie entsprechen den gängigen Stereotypen aus Ost und West, die Hure mit dem Goldherz, die Nonne, die ihre Keuschheit im Namen des Herrn opfert, die stramme Reiterin (Amanda Plummer), die eiskalte Geschäftsfrau (Vivian Vu), die fragile Porzellanpuppe (Kirina Mano) etc. Keine Bange, was sich bis hier wie die Restauration des patriarchalen Lustprinzips anhören mag, ist noch nicht aller Tage Abend.
Aber eine eigentliche Geschichte nacherzählen zu wollen, ist bei Greenaway meist verlorene Liebesmüh. Er pflegt anderen als narrativen Strukturen zu folgen, das kennen wir aus Filmen wie Drawning By Numbers, ZOO, Prospero's Books oder The Pillow Book, mit dem er in seine Welt des Ostens einführte. 8 1/2 Women ist Greenaways Hommage an Federico Fellini und dessen Otto e mezzo. Interessanterweise ist gegen den Italiener nie der Vorwurf des kopflastigen Formalismus erhoben worden, während sich Greenaway zunehmend der Kritik ausgesetzt sieht, seine Filme seien zu intellektuell, zu strukturversessen, zu kompliziert. Dass er bei allem britischen Spleen mit Ordnungssystemen und numerischen Experimenten genauso barock inszeniert, dass er seine Figuren vor den üppigsten Tableaus ihre kultiviert Dialoge führen lässt, das machte aber immer schon den Reiz dieses Regisseurs aus, der seit The Draughtsman's Contract das Filmpublikum überrascht, schockiert und langweilt. "Sich langweilen" nennt man im Fachjargon einen Film von Greenaway nicht mögen. Gelangweilt haben sich auch diesmal etliche, obschon von Dingen die Rede ist, die man i.d.R. interessant findet, nämlich von Sex.
Und das bedeutet auch viel nackte Haut, wie immer bei Greenaway. Solche kennt man zwar auch aus anderen Filmgenres, aber bei Greenaway wird der unbekleidete Menschenkörper neben seinen normalen (junge Frau) eben immer auch in seinen seltener medialisierten Formen (Übergewicht, Alter, Verstümmelung, Verwesung) sichtbar. Greenaway sorgt diesbezüglich auch mit "8 1/2 Women" wieder für überraschende Momente: Vater und Sohn vergleichen vor dem Spiegel ihre Körper, den jugendlichen und den alten, ihre Penisse. Der von John Standing sieht ein bisschen komisch aus in dem roten Wust von Schamhaar. Dafür ist die hübsche Nonne an der entsprechenden Stelle vorbildlich kahlrasiert. Nicht interessant genug? Wen Fragen der Schambehaarung kalt lassen und intellektuelle Ränkespiele langweilen, der mag sich immer noch hinreichend an den wie immer hinreissenden Dekors ergötzen. Für Freunde von modernem Design muss ein Greenaway-Film ein einziger Orgasmus sein. In Sachen Architektur, Möbeldesign und Bekleidungsmode ist der Brite kompetenter als die meisten Architekten, Möbeldesigner und Herrenschneider.
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