eXistenZ Kanada, Frankreich, Grossbritannien 1999 – 97min.

Filmkritik

Die Spielkonsolen der Zukunft

Benedikt Eppenberger
Filmkritik: Benedikt Eppenberger

"Für die Dauer von 90 Minuten den Menschen aus der Perspektive eines Krankheitserregers betrachten", so beschrieb der Kanadier David Cronenberg einmal seine Lust, als Filmemacher die Alltagswahrnehmung seiner Zuschauer zu unterlaufen. "eXistenZ" heisst das Computergame der nahen Zukunft. Um es spielen zu können, brauchen Sie als Schnittstelle einen Bioport in Ihrer Wirbelsäule.

Das Spiel mit den Zuschauer-Perspektiven führte noch in jedem Cronenberg-Film auf die existenzialistische Grundhaltung des Regisseurs, seine Fragen nach dem "Sein", das vom "Schein" nicht zu trennen ist. Es ist intellektuelles Interesse, weniger zeitgeistiges Kalkül, wenn er nun mit "eXistenZ" das modische Spiel mit der "Virtual Reality" auf die Spitze treibt. Wo Filme wie The Matrix, The Game oder Strange Days in einer letztlich fundamentalistischen Pose verharren (die Realität existiert, man muss sie nur aus den Scheinwelten herauszuschälen), verschachtelt "eXistenZ" auch die "letzten" Wahrheiten zu einem undurchdringlichen Organismus, der sich und seine Regeln ständig neu erfindet. David Cronenbergs Filme sind Körper auf der unkontrollierten Suche nach neuen Aggregatszuständen.

Allegra Geller (Jennifer Jason Leigh), die zentrale Figur in "eXistenZ", ist wie alle Kreaturen Cronenbergs eine Anhäufung von Widersprüchen, die sich zu ständig neuen Identitäten zusammenfinden. Zugleich intuitiv und analytisch, anziehend und abstossend entwirft das attraktive Wesen in naher Zukunft Computerspiele, deren Struktur die Realität so perfekt imitieren, dass die auf diese Weise geschaffene Wirklichkeit vom Hier und Jetzt nicht mehr zu unterscheiden ist. Ihr neustes Spiel heisst "eXistenZ" und es wird, über eine an die Wirbelsäule angeschlossene organische Konsole direkt ins Hirn gespiesen. Die so entstehenden "Welten" und "Erzählungen" sind Kunstwerke ohne eindeutiges Gravitationszentrum, und bald einmal findet sich der Spieler gleichzeitig als Opfer und als Täter in einem Game, das seine Regeln einmal nur allzugern, dann wieder nur widerwillig preisgibt.

Fatwa - die Rache der Gerechten

Kunst soll Widerspruch provozieren und weil Cronenberg die Spieldesignerin Allegra Geller als Künstlerin konzipiert hat, kriegt sie Feinde, die sich gewaschen haben. Die Grundzüge von "eXistenZ" existierten bereits, als Cronenberg 1995 vom kanadischen Magazin "Shift" gebeten wurde, ein Interview mit dem verfolgten Schriftsteller Salman Rushdie zu führen. Was Cronenberg an Rushdie am meisten faszinierte, war der Künstler, der sich mit seinem Medium eine Welt geschaffen hat, die ausser Kontrolle gerät und sich schliesslich gegen ihn selbst wendet. So wurde aus Allegra eine Künstlerin auf der Flucht. Während ihre Fans "Tod dem Realismus" skandieren, haben sie ihre fundamentalistischen Gegner aufgrund ihrer "radikalen Deformierung der Realität" zum Tode verurteilt.

Gleich bei der ersten öffentlichen Präsentation von "eXistenZ" wird sie von den Extremisten ins Visier genommen. Der Anschlag misslingt, aber von diesem Moment weg befindet sich Allegra zusammen mit dem unsicheren Saalordner Ted Pikul (Jude Law) auf der Flucht. Erst allmählich erfährt Zuschauer, dass sich die beiden längst im Spiel befinden, und die Frage: Wer ist Freund, wer Feind?, nicht mehr zu beantworten ist. Immer weiter dringt er zusammen mit den Flüchtigen ein in die schöne neue, aber auch sehr komische Welt. Einen Ausgang sucht er vergebens. So lange forscht er, bis die Verunsicherung zur zweiten Haut geworden, und ihm zu guter Letzt doch wieder ein Schnippchen schlägt. Das Ende ist eine Überraschung - oder doch auch wieder nicht.

"Ich will nicht hier sein" meint der überforderte Ted einmal zu Allegra. "Wir stolpern hier durch eine unfertige Welt, wir kennen die Regeln nicht, ja, wir wissen nicht mal, ob überhaupt welche existieren. Wir werden verfolgt von Leuten die uns umbringen wollen, ohne zu wissen warum." Antwortet ihm die Spielkonsolen-Göttin: "So geht mein Spiel." Ted: "Das wird schwierig zu vermarkten sein." Allegra: "Es ist ein Spiel, das längst alle spielen".

10.11.2020

5

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Kommentare

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movie world filip

vor 13 Jahren

war ein nachtmittag mit ein freund von mir alleine in eine grossen kino.. doppel so angstig ohne besucher.. cooler scifi trip


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