Filmkritik
Farbloses vor buntem Hintergrund
Die Urteilskraft ist ein frühes Opfer des bunten, lauten, alkoholisch angeheiterten Getümmels eines Karnevals. Blasse Schatten einer guten Idee erscheinen in einer solchen Nacht wie gewaltige Geistesblitze -- jedenfalls bis zum Frühstück des nächsten Morgens, wenn sich der milde Unsinn als solcher zu erkennen gibt. Regisseur Thomas Vincent hatte die Idee zu diesem Film während des Dünkirchener Karnevals und war begeistert. Das Frühstück am nächsten Tag liess er offenbar aus.
Die Geschichte erzählt von Larbi (Amar ben Abdallah). Er ist Araber von Geburt, aber aufgewachsen im französischen Dünkirchen. Unzufrieden mit seiner Arbeit in väterlichen Garage, entschliesst sich Larbi, ins sonnige Marseille zu reisen und dort auf eigene Faust zu leben. Während seiner letzten Nacht in Dünkirchen trifft er auf Béa (Sylvie Testud) und deren Ehemann Christian (Clovis Cornillac), die soeben vom Karneval zurückkehren. Larbi verfällt Béa und kommt nicht mehr von ihr los. Er sucht ihre Nähe; sie weist ihn zwar ab, aber ihr Ehemann Christian wird eifersüchtig und steigert sich immer mehr in den Hass auf den Araber.
Der Karneval Dünkirchens dient dem Film als farbiger Hintergrund, und es wäre durchaus eine vielversprechende Wahl: Larbis Aussenseitertum wird durch den Karneval betont, ist er hier noch nicht mehr bloss Ausländer, sondern auch völlig abgeschnitten vom gemeinsamen Fest der Einwohner. Die wirklichkeitsverzerrende Dynamik des Karnevals ermöglicht zudem rasante Entwicklungen, so dass sich die Handlung innerhalb kurzer Zeit abspielen kann. Das filmische Potential, das in dieser Kulisse steckt, wird allerdings kaum genutzt.
"Karnaval" nimmt sich aus wie eine verhinderte Tragödie, die in all dem karnevaleskem Tumult vergeblich darauf wartet, entfesselt zu werden. Die Charaktere sind mindestens so blass wie die Handlung schwach. Larbis Herkunft wird uns permanent in Erinnerung gerufen, und der Film scheint uns vormachen zu wollen, hier ginge es um Fremdsein, Aussenseitertum und Rassismus. Aber er löst sein Versprechen nie ein. Wäre die Hauptfigur ein gebürtiger Franzose, so hätte dies den Verlauf der Handlung überhaupt nicht beeinflusst. An diesem schwächlichen Handlungsgerüst kann keine Spannung aufgebaut werden. Die Geschichte wirkt zu theoretisch, und es gibt einen Punkt, wo es uns eigentlich gar nicht mehr interessiert, welche unbegründete Dummheit diese Karnevalisten wohl als nächstes begehen werden. Selbst, wenn wir die Handlung als solche akzeptieren: Thomas Vincent bricht eine zentrale Regel der Erzählung: Sie sollte erzählenswert sein.
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