Filmkritik
Le goût des autres
Gemeinsam haben sie schon die Drehbücher zu Filmen wie "Un air de famille" oder "0n connaît la chanson" verfasst. Mit der moralischen Komödie "Le goût des autres" haben Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri nun ein eigenes Stück selbst inszeniert und gleich auch noch zwei tragende Rollen übernommen.
Wie wir alle wissen, ist die moderne Gesellschaft voller sozialer Trennlinien und versteckter Fallen, die die Menschen daran hindern, sich allzu frei untereinander zu verständigen. Gerade in Frankreich, wo in Folge der grossen bürgerlichen Revolution 1789 die ständischen Schranken zugunsten von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit niedergerissen wurden, kommentieren Gesellschaftsanalytiker seitdem genüsslich das Scheitern der praktischen Umsetzung der revolutionären Postulate. Beziehungsweise sie ergötzen sich an der problematischen Verständigung zwischen den gesellschaftlichen Schichten, was ihnen auch ständig Stoff für die fortgesetzte "Comédie humaine" liefert. Wie soll das auch gehen, "Brüderlichkeit" zwischen, zum Beispiel, einem neureichen Fabrikbesitzer, seinem Chauffeur, einem Leibwächter, schwulen Künstlern, Intelellos und einer dealenden Barkeeperin? Alle leben sie in ihren Kreisen und das Interesse, den geordneten kleinen Kosmos aus uneigennützigen Motiven zu verlassen, ist relativ klein. Diese Welten existieren nicht miteinander, sondern gerade schlecht und recht nebeneinander. Aufgebrochen wird dieses Gefüge dann, wenn zwei sich finden, die eigentlich nicht zusammengehören, wenn sich l’amour über die Schranken hinwegsetzt, die "Brüderlichkeit" so unverhältnismässig befördert wird.
Das in Frankreich längst schwer gefeierte Paar Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri hat diese optimistische Variante (im pessimistischen Normalfall hauen sich die Parteien ja gegenseitig die Rübe ein, um das Individuum in Schranken zu halten) ihrem Stück "Le goût des autres" zugrunde gelegt und berichtet darüber, wie sich in der Provinz (für einmal nicht Paris!) eine verhalten freundliche Mischung ergibt, die – realistischerweise – neben GewinnerInnen auch VerliererInnen kennt. Da verliebt sich der ziemlich einfältige Fabrikbesitzer Castella (Jean-Pierre Bacri) in seine Englischlehrerin Clara (Anna Alvaro), die wiederum von diesem kulturlosen, beschnauzten nouveau riche nichts wissen will. Englischstunden gibt die Frau solchen Geldsäcken nur, weil ihre wahre Passion, die Theaterschauspielerei, ausser schnell verflogenem Ruhm kaum etwas zum Beissen bringt. Dabei sehnt sich die alleinstehende Clara doch leidenschaftlich nach etwas Liebe - derjenige aber müsste dann schon ein intellektueller Gröfaz à la Bernard-Henri Lévy sein, und nicht ein Idiot wie Castella, der Ibsen womöglich für eine französische Supermarktkette hält. Doch der Schnauzer bleibt unbeirrt. Immer öfter vernachlässigt Castella mit den Geschäften auch seine Frau und sucht in seiner plumpen Art Zugang zu Claras Clique. Clara ist darob peinlich berührt und ihre Künstler-FreundInnen machen sich zunächst auch einen dicken Spass daraus, den ahnungslosen Fabrikanten blosszustellen. Ähnliche Verwicklungen ergeben sich auch auf anderen Ebenen. Auf jener von Castellas Bodyguard Moreno (Gérard Lanvin) zum Beispiel, der für einige Wochen – wichtige Vertragsvereinbarungen stehen an – den Fabrikanten wohl vor seiner missgünstigen Konkurrenz schützen soll. Gelangweilt verbringt der Ex-Flic seinen endlosen Arbeitstag mit Castellas Chauffeur Déschamps (Alain Chabat), aus dessen schwierigem Liebesleben er bei dieser Gelegenheit allerhand erfährt. Offensiv wie er ist, legt Moreno in seiner Freizeit noch schnell die Kellnerin Manie (Agnès Jaoui) flach, die kurze Zeit zuvor Déschamps half, sich etwas von seinem Liebeskummer abzulenken. Als die Affäre Manie-Moreno sich dann doch etwas länger hinzieht, vermengen sich die Geschichten über die Kellnerin, die (Überraschung, Überraschung) freundschaftlichen Kontakt zu Clara und ihrem Clan hält, auf wundersame Weise mit dem Liebeswerben Castellas, der mit der Kellnerin eine unerwartete Fürsprecherin erhält.
Klingt nun alles sehr französisch, und wem diese Stellung behagt (mit zunehmendem Durcheinander hebt auch der Wortschwall an) ist mit "Le goût des autres" gut bedient. Elegant geschrieben, gespielt und inszeniert, stört es den Nichtfranzosen kaum, die sprachlichen Finessen – auch hier zeigen sich die Trennlinien zwischen den Kreisen - nicht mitzubekommen. Die (ziemlich harmlose) Geschichte trägt und veranschaulicht die Absicht von Autorin und Autor nur allzu gut. Wenn der untertitelfixierte Zuschauer dann zudem herausfindet, dass sich "Le goût des autres" auf dem Niveau von abgefilmtem Theater bewegt – sich filmisch also nicht allzuviel tut – kann er sich beruhigt zurücklehnen, lesenderweise geniessen, und einmal mehr vor sich hinseufzen: Ach diese Franzosen...
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Kommentare
Gelöschter Nutzer
Verfasst vor 14 Jahren
Sowohl der deutsche Titel als auch der des französischen Originals ’Der Geschmack der Anderen’ treffen den Sinn des Films. Verpackt in die locker leichte Lebensart der Franzosen geht es aber um ein philosophisches Phänomen. Jeder der Figuren achtet nur auf den Geschmack und die Einstellungen seiner Umgebung: Ehefrau, Kollege, Bedienung oder Schauspielerin, Body Guard oder Verlobte. So kann er nichts über sich selbst erfahren und wird von anderen dominiert, die ihm permanent Vorschriften machen und ihn letztlich zur Lebensuntüchtigkeit verdammen. Es kann sein, dass er sich dann sogar zeitweise zum Affen macht. Erst am Ende schaffen es einige diesen Teufelskreis zu durchbrechen, weil sie aus Erfahrungen eine Lehre ziehen und ihren Weg finden. Etwas trockene Kost, die um Unterhaltung bemüht ist.… Mehr anzeigen
... gibt's in europa eine komödie wie diese! für fans von komischen szenen die nicht um jeden preis komisch sein wollen. einfach genial!
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