Filmkritik
Revolutionäre Liaisons Dangereuses
Wie schlägt sich eine unpolitische, bürgerliche, wohlhabende aber herzensgute Ausländerin durch die Wirren der Französischen Revolution, wenn alles zusammenbricht, worauf sie sich bisher gestützt hat, mag sich der erfahrene Eric Rohmer gefragt haben, als er eine neue Sicht auf das alte Thema suchte. Analog wurden auch die Mittel "revolutioniert": Hintergrundbilder statt plastischer Kulissen, ein etwas grobkörniges und farbstichiges Digitalkamerabild, Kammertheater statt turbulenter Massenszenen, erzählte statt inszenierte Gewalt.
Die ehemalige Maitresse des Herzogs von Orléans (Jean-Claude Dreyfus), die aus England stammende, aber völlig assimilierte Grace Elliot (Lucy Russel), hats schon schwer: Die von ihr naiv bewunderten Stützen der adligen Gesellschaft und ihre Werte werden durch die Revolution ins Wanken und teilweise zum Sturz gebracht, so dass ihr Leben plötzlich nicht mehr wie gewohnt funktioniert. Sie unterhält ein Stadt- u. ein Landhaus, wird von Bediensteten umsorgt und zählt (ehemals) Mächtige zu ihren Freunden, was sich aber ein ums andere Mal als Problem erweist: Sei es, dass ein nun in Ungnade Gefallener ihre Hilfsbereitschaft ausnützt oder dass sie im Stich gelassen wird. Da ist Improvisationstalent gefragt! Wie sich Grace angesichts teilweiser absurder Regeln durchmogelt oder geistesgegenwärtig heikle Situation meistert, die durch das ebenfalls revolutionär infizierte Personal verkompliziert werden, entwickelt einen gewissen Reiz und eine verhaltene Komik. Leider sind solche Szenen selten. Schrecken und Trauer überwiegen, was L Russel vielleicht etwas zu oft zur Darstellung ausgedehnten Heulens verleitet. Leichter hat es da J-C Dreyfus, dessen Aufstieg und Fall wir an seinen Kommentaren zur politischen Entwicklung bei einem der vielen Treffen mit Grace verfolgen können. Sein Minenspiel verrät oft seine wahren Absichten, während seine Worte unverbindlich und freundlich bleiben. Geschichte wird mittels Geschichten erzählt - da bleibt sich Rohmer treu; Verhandlung (im kommunikativen wie im juristischen Sinn) statt Handlung; Stilleben statt Action. Die Rivalität zwischen Jakobinern und Girondisten scheint zB. im Streit zweier Vertreter anlässlich einer Revolutionsgerichtsverhandlung über Grace auf. Trotz der Individualisierung fällt das Mitleiden und -bangen schwer, da viele Szenen einer Parodie adliger Rücksichtslosigkeiten nahekommen, so dass man jenen "La Ceremonie" gönnt. Vielleicht trägt dazu auch der Gewaltdarstellungsverzicht bei, der bei diesem Stoff mutig ist, aber nicht durch eine entsprechende Gefühlsdramatik kompensiert wird. Kenntnisse der Französischen Revolution sind Voraussetzung. Trotz der aufwühlenden Thematik wirkt er etwas träge.
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