Filmkritik
Sechserkiste
Jacques Rivette, einer der vielversprechendsten Nouvelle-Vague-Patriarchen, beglückt uns mit einer romantischen Komödie um sechs Menschen, die sich im Strudel von Liebe, Eifersucht und Leidenschaft verlieren und wieder finden. Nach "Eloge de l'amour" von Jean-Luc Godard eine weitere französische Hommage an die Liebe und die Liebenden.Camille (Jeanne Balibar), eine französische Schauspielerin kommt nach drei Jahren freiwilligem Exil in ihre Heimatstadt Paris zurück, um mit ihrer italienischen Theatergruppe das Stück "Come tu mi voui" von Luigi Pirandello aufzuführen. Geplagt von Lampenfieber und der Angst ihrem Ex-lover Pierre (Jaques Bonaffé) gegenübertreten zu müssen gleicht sie einem emotionalen Frack und verliert sich in unsinnigen Monologen und Hysterieanfällen. Ugo (überzeugend: Sergio Castellitto), ihr Co-Star und jetziger Lebenspartner, versucht vergeblich sie aufzuheitern, wobei auch er nebenbei einer versteckten Leidenschaft nachgeht: Er durchstöbert die Privatbibliothek einer gewissen Madame Desprez, deren attraktive Tochter Dominique (Hélène de Fougerolles) ihm bei der Suche nach einem unveröffentlichten Manuskript von Goldoni behilflich ist. Dass die hübsche Studentin auf dieser Mission schon auch mal zwischen verstaubten Büchergestellen (die auffällig oft als Hintergrund dienen in diesem Film) auf eine Leiter steigen muss und sich zur "occasion parisienne" mausert, versteht sich von selbst. Camille beschliesst unterdessen ihrerseit, sich ihrer Vergangenheitsbewältigung zu stellen und besucht Pierre, der nun mit der flotten Sonia (Marianne Basler) liiert ist. Letztere ist Camille nicht unsympathisch und aus den anfänglichen Konkurrentinnen werden Komplizinnen. Und dann ist da auch noch Arthur (Bruno Todeschini), der sich an Sonia ran macht und auch mit seiner Halbschwester Dominique eine dubiose Beziehung zu pflegen scheint. Wem das zu chaotisch klingt, soll sich nicht abschrecken lassen, denn die Komplexität der Beziehungen unter den Beteiligten sind ganz im Sinne von Rivette.Der Nouvelle-Vague-Veteran und frühere Filmkritiker der Cahiers du Cinéma liebt seine Charakteren und umwirbt ihr Treiben mit einer fast aufdringlichen Kameraführung, die nahe an die Schauspieler herrangeht, ihnen jedoch Zeit lässt und zuhört. Der fast gänzliche Verzicht auf Musik und Montage in manchen Szenen gibt den Begegnungen der einzelnen Personen eine atemberaubende Intensität. Rivette, der heute 73 Jahre alt ist vereint in "Va Savoir" sein Wissen, seine Passionen aus 40 Jahren Filmschaffen. Das Ergebnis kommst einem nach seinen überlangen Werken wie "Céline et Julie vont en bateau" (1974) und "La belle Noiseuse" (1991) fast kurz vor. Zu lang geraten ist nur der Anfang, wo man als Zeuge von Jeanne Balibars introvertierten Selbstgesprächen das Gefühl nicht los wird, einer überlangen Improvisationsübung beizuwohnen, bei der das Spiel mit dem Schauspiel zunehmend an Tiefe verliert und man sich nur noch langweilt. Nach dieser unglücklichen Aufwärmphase gewinnt der Film aber durchaus an Frische und die Schauspielerleistungen und die Komplexität der Beziehungen scheinen sich gegenseitig hochzuschaukeln. Rivette überrascht uns mit immer neuen Kombinationen von Verführern und Verführten, indem er die Protagonisten molekülartig aufeinander treffen lässt, sich mal abstossend mal anziehend. Die Wechselwirkung von Wirklichkeit und und On-Stage-Drama visualisiert treffend, wie wir auch im realem Leben nur unsere Rollen spielen - Sklaven der Absurdität unseres Verlangens. Obwohl sich die Figuren teils fern von Logik und Plausibilität bewegen, verkörpert das starke Schauspielerensemble die Charakteren glaubwürdig und lässt den Film nach anfänglicher Durststrecke doch noch zum Augenschmaus werden.
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