Filmkritik
Flucht ins Leben
Thomas Mann kennt man. Wurde der Deutschunterricht aufmerksam verfolgt, wohl auch seinen Bruder Heinrich. Doch wer waren seine Kinder? Andrea Weiss stellt uns zusammen mit Wieland Speck in einem halbdokumentarischen Film die zwei ältesten Kinder des berühmten deutschen Schriftstellers vor.
Erika und ihr um ein Jahr jüngerer Bruder Klaus sind homosexuell. Dies zu einer Zeit, als man von Gesetzes wegen nur das andere Geschlecht lieben durfte. Auch ihr Vater lehnt die Homosexualität als "Widersinn" und "Fluch" ab. Nebst der Bemühung um gesellschaftliche Anerkennung führen die beiden Geschwister auch einen Kampf gegen den übergrossen Schatten ihres Vaters und ihres Onkels. Dies tun sie mit unterschiedlichem Erfolg. Während Erika, die Stärkere der beiden, selbstsicher ihren Weg geht und mit der 'Pfeffermühle', einem politischen Kabarett, das gegen den Nationalsozialismus gerichtet ist, überaus erfolgreich ist, werden Klaus' Schriften kaum gelesen, und seine Theaterstücke fallen bei Kritik und Publikum durch. Eine Tatsache, an der Klaus Mann zerbricht. Er verfällt dem Drogenkonsum und wird von Depressionen und Todessehnsüchten heimgesucht. Nur seine Schwester hält ihn im Leben zurück. Denn zusammen sind sie stark. Das waren sie schon als Kinder. Immer traten sie als Einheit auf, wurden gar für Zwillinge gehalten. Zusammen bestreiten sie auch ihren grössten Kampf: Denjenigen gegen den Faschismus. Mit erhobenem Zeigefinger pilgern sie durch ganz Europa. Das Naziregime verbietet in der Folge ihre Schriften und spricht ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft ab. Die Suche nach einem neuen Zuhause führt beide nach Amerika.
Andrea Weiss verfilmte mit "Escape To Life" ihr gleichnamiges Buch und bekundet nochmals ihr reges Interesse am Leben der zwei ältesten Mann-Kinder. Ihr Interesse mag auch daher kommen, dass sie sich ebenfalls zur gleichgeschlechtlichen Liebe bekennt. So setzt ihre neuste Dokumentation eine Reihe von weiteren Filmen fort, die sich mit der Thematik der Homosexualität auseinandersetzen. Auch für Wieland Speck stellt dieses Thema nicht Neuland dar. Mit "Westler" gewann er 1986 am 'San Francisco Lesbian & Gay Film Festival' den Preis für den besten Film.
Weiss und Speck haben in ihrem Film Archivmaterial, Originalinterviews mit Erika Mann sowie Gespräche mit Zeitzeugen mit Spielszenen vermischt. Diese unterbrechen die dokumentarische Erzählung und sollen wohl für eine angenehme Abwechslung und Auflockerung sorgen. Jedoch wirken die nach Motiven aus Klaus Manns Werken wie "Der fromme Tanz", "Der Vulkan" oder "Speed" gespielten Intermezzi eher trocken und steif, und so ist man froh, dass eine Offstimme wieder zurück zum dokumentarischen Teil des Films leitet. Dieser ist auch seine Stärke. Begeistert und fasziniert beschreiben Arbeits- und Lebensgefährten Erika Mann als eine charismatische und attraktive Frau. In Interviews aus dem Archiv kommt sie dann auch selbst zu Wort und lässt den Zuschauer erahnen, mit welchem Ehrgeiz sie ihre Ziele verfolgte, und welche Energie in ihr steckte. Klaus Mann kommt bisweilen fast etwas zu kurz. Irgendwie wirkt er dem Zuschauer fremder als Erika und bleibt als deren deprimierter, durch Drogen und seinen lebenslangen Kampf um Anerkennung müde und schwach gewordener Bruder in Erinnerung.
Durch das politische Engagement der Kinder Thomas Manns erfährt man vieles über die Geschichte Europas während der Nazi-Herrschaft. "Escape To Life" vermittelt diese Informationen auf spannende Art und Weise. So stehen nur die misslungenen Spielfilmszenen im Kontrast zur sonst guten Note des Films.
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