Filmkritik
Narrenleben
"Kaspar Hauser"-Geschichten über den einsamen, sozial unfähigen Simplizissimus werden wohl auch nach über 100 Jahren Filmgeschichte nicht aus der Mode geraten. Besonders nicht, wenn ihnen derart geistreiche und herzerwärmende Facetten abgewonnen werden, wie dies Peter Naess in "Elling" getan hat, wo jener titelgebende "Hausersche" Protagonist zusammen mit einem eigenartigen Gesellen auf die Welt losgelassen wird.
Nach dem Tod seiner Mutter kommt der in Isolation lebende Mitvierziger Elling (Per Christian Ellefsen) in eine Anstalt, wo er mit dem etwas übergewichtigen Teilzeit-Tobsüchtigen und überaus knuddeligen Kjell Barne (Sven Nordin) das Zimmer teilt. Introvertiert versus extrovertiert, Gegensätze soll man nicht trennen, weshalb die Anstaltsleitung beschliesst, das "Odd Couple" auch nach der Entlassung aus der Anstalt weiterhin zusammen wohnen zu lassen.Vom Sozialarbeiter Frank (Jørgen Langhelle) beaufsichtigt, beginnen Kjell Barne und Elling mit der Normalität auf Tuchfühlung zu gehen. Während Elling sich zusehends in der Wohnung einsperrt, will Kjell Barne von Sex-Träumen übermannt endlich eine Frau finden. Doch leider fehlt es ihm dafür an gewissen Kommunikationsfähigkeiten. Als er jedoch der überforderten Nachbarin Reidun nach einem Ohnmachtsanfall (die Dame ist hochschwanger) zur Hilfe eilt, entwickelt sich ein erster Kontakt, der eine Reihe von neuen Schwingungen in die Leben der beiden komischen Käuze bringt.
Schauspieler, Drehbuch, Inszenierung, es gibt keine Disziplin, in der "Elling" den Zuschauer nicht verzaubert. Ruhig, mit einem wunderbaren Sinn für die Stolpersteine, die sich die Figuren durch ihre verschiedenen Komplexe in den Weg legen, gelingt Naess das Kunststück aus einer oft erzählten Story, den menschlichen Kern herauszuschälen und ihn neu zu verpacken. Ein Drahtseilakt, der in Hollywoods Industrie des öfteren angestrebt wird, aber grösstenteils fehlschlägt. Drehbuchmängel und schauspielerisches Unvermögen (als Konsequenz des Ersteren) zeichnen oft dafür verantwortlich, hinzu kommt, dass der Faktor Mitleid oder selbstgefällige Kitsch-Schlüsse als Eingeständnisse an das "Massenpublikum" eingefügt werden. Lauter Elemente die "Elling" nicht besitzt. Anstelle der unzähligen Fallen, an denen solche Geschichten zerbrechen können, verschafft uns dieses Kleinod aus Norwegen ein Kinoerlebnis, das neben seiner ganzen Sympathie auch intelligent ist, und den Zuschauer für voll nimmt. Geradlinig erzählt, ohne Schnörkel und dennoch darauf bedacht, das Niveau auf angemessener Höhe zu halten, wurden die Macher zu Recht mit einer "Oscar"-Nomination belohnt.
In seiner Einfachheit überzeugend, beschreiten wir mit diesen Randerscheinungen unserer Gesellschaft einen kurzen aber faszinierenden Weg, nicht einfach nur eine Sauseflug durch die Weltgeschichte à la "Forrest Gump", sondern ein realitätsnahes Märchen über die Narren in unserem Leben, und den Narren in uns selbst.
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