Ghost World Deutschland, Grossbritannien, USA 2001 – 111min.

Filmkritik

Teenage Overkill

Benedikt Eppenberger
Filmkritik: Benedikt Eppenberger

"Ghost World" ist der melancholische Film für all jene, die sich nach "American Pie" fragen mussten: Was hab ich in meiner Pubertät verpasst? Die beiden Anti-Tussis Enid und Rebecca führen ein in die Welt von Halbwüchsigen wie sie wirklich ist: irritierend und sehr, sehr hoffnungslos.

Bevor der ganze Unsinn mit dem Erwachsensein anfängt, das heisst: Arbeitslosigkeit, Lebensversicherung, Motivationsseminar und simulierte Orgasmen, kommen Buben und Mädchen nach ihrer Kindheit in eine Art Zwischenhölle, die "Ghost World". Dort dann begegnen sie ihrer Pubertät und machen damit allerlei leidvolle Erfahrungen. Davon können Enid (Thora Birch) und Rebecca (Scarlett Johansson) ein Lied singen, denn eben wurden die beiden aus der High School entlassen, und müssen jetzt einen Sommer lang durch die Strassen stromern, in öden Diners abhängen, zwanghaft klugscheissern, über fehlenden Sex klagen bzw. sich vorstellen, wie es wäre, wenn frau und frau zusammen eine Wohnung nähme. Nach so viel Adoleszenz ist frau dann auch schon fast so tot wie die Alten; also piesacken die beiden – nur um sich lebendig zu fühlen - bis auf weiteres jeden und jede.

So viel Verachtung macht einsam und es verwirrt zusätzlich, dass frau jenen (den Blondschopf Josh) plagen muss, den sie eigentlich lieben möchte. Doch die Suche nach dem Authentischen lässt keine Halbheiten zu. Und wie überhaupt geht das, fragt sich Enid: gleichzeitig cool sein und doch wild lieben? Geht nicht! Leiden in und an "Ghost World" ist die Konsequenz. Da liegt Enid dann auf dem Bett und hört nostalgisch - selbst noch fast Kind - ihre alten Kinderplatten an.

Veränderung kommt und zwar in der Person von Seymour (Steve Buscemi), einem vereinsamten Thirtysomething mit erloschener Libido, der seine ganze Leidenschaft in die Pflege einer streng geordneten Sammlung alter Schelack-Platten legt. Seinen Job bewältigt er als ambitionsloser Kommunikationsheini einer Hühnchen-Burger-Kette, und alles könnte für ihn ewig so weiterlaufen, würde da nicht eines Tages Enid vor seinem Flohmarkt-Stand auftauchen und sich für seine alten Blues-Klassiker interessieren ...

Vom Comic ...

Erwachsene Amerikaner pflegen ein durchaus gebrochenes Verhältnis zu Teenagern und ihrer eigenen Vergangenheit als Pubertierende. Zwar möchte "Jugendlichkeit" da gern auf ewig bewahrt werden, aber natürlich nur in der idealisierten Form zahnweissgrinsender Alterslosigkeit; der real Pubertierende dagegen ist das wahre Grauen und wird entsprechend aus dem Bewusstsein verdrängt. Etwas Mutierend-Schleimig-Rotziges, Körpersaftiges, Unkontrollierbares, von Widersprüchen gequältes lauert da in jedem Teenager und äussert sich sichtbar in einer aggressiven Form von Gegenkultur, die die zombiehaften Bewohner von "Ghost World" unangenehm berührt.

Zäh hält sich hier, als kleine unangepasste Bastion der Jugendkultur, der Underground-Comix. Noch immer als juvenile Kunstform belächelt, hat sich dieses Erzählmedium den rebellischen Gestus bis heute wahren können und geniesst bei Teenagern deshalb hohe Glaubwürdigkeit. Underground-Comix-ZeichnerInnen werden zwar nie schwerreiche Popstars, sie können aber davon ausgehen, dass ihr Mut zu Hässlichkeit von einem kleinen Publikum mit wahrer Zuneigung honoriert wird. Man versteht sich und gemeinsam bejubelt man Verlierertypen als die wahren Helden des Alltags.

In den Comics von Dan Clowes – dem Schöpfer und Co-Drehbuchautor von "Ghost World" - wimmelt es nur so von melancholischen Adoleszenten, die, auf der Suche nach der ihnen vorenthaltenen Wahrheit, in seltsamste Geschichten verwickelt werden. In dem in losen Folgen publizierten Meisterwerk "Ghost World" fand er für das unstete Driften durch das zeitlose Universum einer amerikanischen Kleinstadt geisterhafte Bilderfolgen und traf obendrein einen angeekelten Ton, wie er aus den USA seit Salingers "Catcher in the Rye" so schön lange nicht mehr zu hören war.

... zum Spielfilm

Jetzt also der Film zum Comic. Gemacht hat ihn Terry Zwigoff, der vor einigen Jahren mit seinem Dokumentarfilm "Crumb" schon einmal in den Kopf eines Comiczeichners – jenem von Robert Crumb – eingebrochen war und dabei Unglaubliches zu Tage gefördert hatte. "Ghost World" ist zwar ein Spielfilm mit richtigen (und prima) SchauspielerInnen, und doch spricht aus Enid und Rebecca schliesslich vor allem einer: ihr Schöpfer Dan Clowes, der aus dem Blickwinkel frustrierter Teenager mit ungemütlicher Entdeckungslust und dem Willen zur Irritation seine Bildergeschichten zum ganz normalen Wahnsinn filmisch weitergesponnen hat. Das Bruchstückhafte der Comic-Vorlage wurde zwar zugunsten einer durchgehenden Handlung aufgegeben – gleichwohl haftet auch dem Film etwas Schwebend-Unfertiges an. Da finden mal Dinge und Dinge, dann Menschen und Menschen oder Dinge und Menschen zusammen und fallen wieder auseinander.

Zu sagen bleibt: «Ghost World» ist das hochsympathisch unangepasste Stück Kino zweier mittelalterlicher Herren, die sorgfältig anteilnehmend und parteiisch von der Gefühlslage zweier Teenager erzählen, die diesen Film ganz gewiss von Herzen hassen würden.

01.06.2021

4

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Kommentare

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drz

vor 22 Jahren

ich habe den Comic gewonnen


ellarso

vor 22 Jahren

beklemmend, packend, gut..


Gelöschter Nutzer

vor 22 Jahren

es lebe thora birch inj der rolle des verschupften girls!!


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