Filmkritik
Halbe Schweizer, halbe Italiener
1964 hat der Zürcher Regisseur Alexander J. Seiler "Siamo Italiani" gedreht und damit einen Klassiker der Schweizer Filmgeschichte geschaffen. Seiler porträtierte die schwierige Situation der italienischen Fremdarbeiter, die damals aus den wirtschaftlich schwachen Gegenden Süditaliens in die Schweiz kamen, und prangerte die schlechten Zustände an, unter denen die Migranten in den 60er Jahren in der Schweiz zu leben hatten. Nun, ungefähr 40 Jahre später, richtet Seiler sein Augenmerk erneut auf die Familien von damals. In einem liebevollen Porträt zeigt er, was aus den Migranten geworden ist und wo ihre Kinder heute sind.
Nach jahrelanger Arbeit in der Schweiz, sind die meisten Arbeiter von damals pensioniert. Einige der italienischen Fremdarbeiter sind wieder in ihr Heimatdorf nach Apulien zurückgekehrt, andere haben sich in der Schweiz eine Existenz aufgebaut. Für die Zurückgekehrten hat gewissermassen eine zweite Entwurzelung, eine zweite Integration stattgefunden. In ihrem eigentlichen Heimatland gelten sie beinahe als Ausländer und müssen sich neu profilieren. Es fällt ihnen nicht leicht, wieder Fuss zu fassen, denn die Familie ist längst nicht mehr zusammen. Die Kinder der zweiten Generation haben sich in der Schweiz eingelebt und besuchen die Eltern in Italien nur in den Sommerferien. Doch in der Schweiz gelten sie als Italiener und sind nicht etwa vollkommen integriert und akzeptiert.
Porträtiert werden die verschiedensten Menschen und die unterschiedlichsten Lebensweisen, doch alle haben sie etwas gemeinsam, sie wurden alle durch die Migration und die Entwurzelung geprägt. Jede Geschichte bringt ihre eigenen Freuden und Leiden mit sich, jede Geschichte ist begleitet von Wiedersehensfreuden und Abschiedstränen. Die Personen scheinen zwischen zwei Sprachen und zwei Welten zu leben, sie fühlen sich als "halbe Schweizer, halbe Italiener". In einer liebevollen Dokumentation nimmt Seiler am Schicksal dieser unterschiedlichen Personen teil und schafft einen wunderschönen Film, der durchaus seine glücklichen, zufriedenen und humorvollen Momente aufweist. Etwa als ein junger Italiener in Zürich gefragt wird, ob er denn glücklich sei in der Schweiz, antwortet er: "In einigen Jahren kommt dann die EU und dann kommt es sowieso nicht mehr darauf an, wo man wohnt!" Diese Aussage, so witzig und liebevoll sie ist, spricht für sich.
Der fahrende Zug versinnbildlicht die Thematik des Films und die schwarzweissen Szenen aus "Siamo Italiani" verdeutlichen den Kontrast von damals und heute und werden sehr eindrücklich eingesetzt. Ein gelungenes Werk, welches die Nähe des Regisseurs zu den porträtierten Personen voraussetzt.
"Septemberwind" von Alexander J. Seiler wurde neben "Gambling, Gods and LSD" von Peter Mettler und "Hirtenreise" von Erich Langjahr für den internationalen Wettbewerb vom Dokumentarfilmfestival "Visions Du Réel 2002" in Nyon selektioniert. Alle drei namhaften Schweizer Dokumentarfilmer haben langjährige Projekte beendet. Obwohl "Septemberwind" am 8. "Visions Du Réel" leer ausging, wurde dem Film viel Beachtung geschenkt. Hoffen wir, dass der gelungene Dokumentarfilm auch im Kino seine Zuschauer findet. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall.
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