Mulholland Drive Frankreich, USA 2001 – 158min.
Filmkritik
Im Schattenreich der Traumfabrik
David Lynch ist wieder on the road. Nach dem meditativen Movie "The Straight Story" beschwört der Kultregisseur in "Mulholland Drive" erneut die Schattenseiten des "American Dream". Der in Cannes prämierte Film kommt als abgründiges Heimspiel daher: Hollywood stellt den Rahmen für eine ganz und gar nicht geradlinige Story voller grotesker Höhepunkte.
Eine Frau (Laura Elena Harring) entsteigt als einzige Überlebende dem Wrack einer Limousine. Nur Sekunden zuvor ist das Auto auf dem Mulholland Drive in den Hügeln über Hollywood verunfallt. Glück im Unglück, waren ihre zwei männlichen Begleiter doch kurz davor, sie umzubringen. Vor der funkelnden Vista des nächtlichen Los Angeles stolpert die dunkelhaarige Schönheit das steinige Gelände hinab, bis sie wieder Asphalt unter den Füssen hat.
Nicht umsonst finden wir uns auf dem Sunset Boulevard wieder, dem Schauplatz des gleichnamigen Meisterwerks von Billy Wilder. Und spätestens als sich die Frau - die als Folge des Unfalls ihr Gedächtnis verloren hat - den Vornamen der Leinwandgöttin Rita Hayworth borgt, wird klar, dass "Mulholland Drive" grossen Vorbildern Respekt zollt. Auch Betty (bestechend: Naomi Watts), die Rita auf deren Suche nach Identität zur Seite steht und später zu ihrer Liebhaberin wird, könnte glatt als Kim-Novak-Klon durchgehen - Hitchcocks "Vertigo" lässt grüssen.
Loch ohne Boden
Was David Lynch als zitierfreudigen Film noir beginnen lässt, ist aber vor allem eines: Ein typischer David Lynch-Film. Nachdem der 56-jährige Regisseur mit dem besinnlichen Roadmovie "The Straight Story" für einmal leisere Töne angeschlagen hat, kehrt er wieder in vertrautes Territorium zurück: Ins Reich der bizarren Traumlogik, wo hinter jedem Pepsodent-Lächeln eine Teufelsfratze lauert, wo in manikürten Vorgärten abgeschnittene Körperteile von drohendem Unheil künden, wo Puppenspieler und Marionetten in unbewusster Eintracht die Demontage amerikanischer Mythen betreiben. Seine ureigene Hölle hat Lynch in Filmen wie "Eraserhead", "Blue Velvet" oder "Lost Highway" in unablässig obsessiver Manier auf die Leinwand gebannt.
"Mulholland Drive" nimmt den Faden dort auf, wo "Lost Highway" ein abruptes Ende nahm: Mit einem Filmriss. Die Amnesie von Rita und deren Geschichtsbewältigung sind Programm. Auch für den Zuschauer, der sich mit einer Fülle von undurchsichtigen Plots, kryptischen Symbolen und schizoiden Charakteren konfrontiert sieht. Ähnlich muss es einem ergehen, wenn man an einer Drogenparty eines exzentrischen Filmmoguls vergebens den Ausgang aus dessen Art Deco-Villa mit fünfzig Zimmern sucht. Ein Loch ohne Boden, ein Puzzle: Fragen über Fragen geben eine geheimnisvolle "blue box" auf. Liegt darin der Schlüssel zu Ritas Schicksal verborgen? Welche Rollen spielen der mysteriöse Cowboy (Monty Montgomery) oder der zwergwüchsige Mr. Roque (Michael J. Anderson), der von einem Rollstuhl aus die Fäden zu ziehen scheint? Zu Lynchs filmischem Mahlstrom, der die Protagonisten durch lose verbundene Handlungs- und Zeitschlaufen wirbelt, gibt es viele Lesarten. Dabei macht der Autor (Drehbuch: David Lynch) nie einen Hehl daraus, dass von ihm keine Auflösung zu erwarten ist.
Groteske Komik
Am besten ist "Mulholland Drive" in seinen grotesk-komischen Momenten. Köstlich die Szene, in der ein Killer bei der Erledigung eines Mordes mit ungeahnten Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Beissender Sarkasmus schlägt einem entgegen, wenn die aus Kanada angereiste Betty regelrecht aus dem Flughafengebäude schwebt, um sich in Hollywood endlich ihren Traum vom Filmstar-Dasein zu verwirklichen. Eine gehörige Portion Selbstironie projiziert Lynch in die Figur des blasierten Regisseurs Adam (Justin Theroux): Der Mann, dem die mafiosen Geldgeber seines neuen Films eine Schauspielerin für die weibliche Hauptrolle aufzwingen, wirkt wie eine auf Gucci-Coolness getrimmte Karikatur des Grossmeisters.
"Mulholland Drive" hat schon einige prestigeträchtige Auszeichnungen eingeheimst: Der US-Filmkritikerverband kürte ihn zum besten Film des Jahres 2001 und Lynch wurde am Filmfestival in Cannes 2001 zusammen mit Joel Coen für die beste Regie ausgezeichnet. Nachdem der Fernsehsender ABC die ursprünglichen Pläne für eine Lancierung von "Mulholland Drive" als TV-Serie auf Eis gelegt hatte, weil dem Management der Inhalt zu düster geraten war, dürften die Lorbeeren für Lynch eine besondere Genugtuung sein.
Dein Film-Rating
Kommentare
dunkel, sexy, spannend.. und originel ("silencio")... narratives spiel
Sex, Gewalt, Mysteriöses und ein paar schöne Bilder in einem Puzzle, das nicht zusammenpasst. Einer der schlechtesten Filme, die ich gesehen habe.
Mulholland Drive ist ein sehr spezieller Film. Ein Film mit sehr vielen Fragen und nur wenigen Antworten. Es hat mich zum Nachdenken angeregt.
Ich schätze es auch, dass der Film endlich wieder mal eine anständige Länge hat. Das fantastische daran ist, dass es immer spannend ist und bleibt. Ständig versucht man Dinge zu erraten oder erahnen. Einfach ein sehr guter Film.… Mehr anzeigen
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