Bellaria - so lange wir leben! Österreich, Deutschland 2002 – 98min.

Filmkritik

Jim Bum und Nackte

Stefan Gubser
Filmkritik: Stefan Gubser

Ach, man muss direkt ins Schwärmen kommen. Und ins Weinen zugleich. Da gibt's ein Schmankerl zu sehen, Herrschaften, das sich niemand anschauen wird, der jünger ist als seine Grossmutter. Ein Jammer ist es, Verbrechen, eine Schand. Sünd und schad!

Aber erstens läuft manch Gutes in der Stille. Und zweitens gilt trotzdem: Eins nach dem anderen, wie in Paris, auch wenn wir in Wien sind. Im 7. Bezirk, in einem Kino mit Namen "Bellaria". Eines mit dem scharfen Charme einer längst vergessenen Zeit. Eines, wo an den Wänden die Bildnisse von Komödienstars aus einer Ära hängen, als Komödien noch Lustpiele hiessen und nett und sauber waren. Marlene Dietrich sieht man da, Zarah Leander und die Marika "Hoch die Röck", unzählige unvergessene Stars und noch viel mehr vergessene. Und wer hängt, läuft trotzdem noch, Tag für Tag auf der Leinwand. Und ins Bellaria laufen diejenigen Tag für Tag, um die es vor allem geht in diesem rührenden Dokumentarfilm: Menschen, die kaum mehr gehen können, aber eine Liebe teilen. Ihre Filme und ihr Bellaria. Eine Welt von gestern heute. Tönt unspektakulär, ist aber ein Stück Film, in dem alles passt - ausser vielleicht dem Vornamen des Regisseurs: Douglas.

Der Nachname geht wieder: Wolfsperger. Der gute Mann hat sich zuletzt mit Verona Feldbusch und Albernheiten wie "Heirate Mir!" herumgeschlagen. Was ist ihm mit "Bellaria" gelungen! Alte Menschen reden über ihre Liebe zum Kino. Von einem, das, wie sie sagen, verhüllte statt zeigte, andeutete, statt anfasste, da man Lippen gegeneinanderdrückte, statt die Zungen hineinzustecken, das Kunst war statt Kommerz und vor allem Illusion statt Realismus. Da es nicht wie heute nur um das Eine ging, nämlich Jim Bum und Nackte. Und wer redet so? Eine dicke Dame mit Hut und Feder. Eine Alte, die nur noch Konserven isst, um sich jeden Nachmittag in ihre bewegte Bilderwelt von gestern versenken zu können. Der Filmvorführer, der von den Zeiten des Führers redet, als wär’s ein Film, Verzeihung, ein Lichtspiel, mit dem Eggert in der Hauptrolle. Douglas Wolfsperger versammelt sie alle vor seiner Kamera, und siehe, sie reden, als ob keine Kamera da wäre.

So, genug geschwärmt. Wolfspergers Kleinod ist ein Muss für jeden, der immer schon Figuren von Thomas Bernhard in Original hat sehen wollen. Wie ein Film von Ulrich Seidl, nur nicht inszeniert und noch viel weniger abgefuckt. Wer immer schon wissen wollte, was das jetzt genau sei, der vielbemühte Wiener Schmäh, wer noch nie einen schwarzweissen Heimatfilm gesehen hat, und es auch nie tun würde, wenigstens in voller Länge, oder wer einfach eine Freude hat an feiner Beobachtung am Rande, darf sich "Bellaria" nicht entgehen lassen.

19.02.2021

4.5

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