Filmkritik
Derrida dekonstruiert
"Derrida" ist das gelungene filmische Porträt über den am 8. Oktober 2004 verstorbenen Philosophen Jacques Derrida, Begründer des Dekonstruktivismus. Auf humoristische und sensible Weise erlauben die Regisseure Amy Ziering Kofman und Kirby Dick dem Zuschauer intime Einblicke in sein Leben und Werk.
"Nein, ich habe nicht alle Bücher gelesen, die in meiner Bibliothek stehen", gibt der Philosoph Jacques Derrida zu, während er verschmitzt in die Kamera lacht. Nach einer Denkpause fügt er an: "Aber die Bücher, die ich gelesen habe, habe ich dafür umso gründlicher studiert." Nur ein Auszug aus den zahlreichen Interviews in Amy Ziering Kofmans und Kirby Dicks Dokumentarfilm "Derrida", die den Humor des kürzlich verstorbenen Denkers illustrieren.
Während fünf Jahren haben Ziering Kofman und Dick den Vater des philosophischen Dekonstruktivismus privat in Paris besucht und auf seinen Vortragsreisen nach New York und Südafrika begleitet. Das filmische Porträt zeichnet ein dichtes, sensibles und humoristisches Bild und versteht es, mit Auszügen aus Derridas Publikationen dem Zuschauer sein Werk näher zu bringen: Für Derrida beruht die westliche Philosophie auf der falschen Annahme, dass man sich auf die wahre und unverrückbare Bedeutung von Worten und Begriffen verlassen könne. So geht es im Dekonstruktivismus darum, selbstverständliche Annahmen der Geistesgeschichte in Frage zu stellen.
Kirsten Johnsons Kamera zeichnet Gespräche über Liebe, Gewalt, Tod und Narzissmus auf, beobachtet den Philosophen beim Essen, Trinken und sich kämmen. Dabei kommt ein scherzhafter, grüblerischer und teilweise eitler Derrida zu Tage, der es sich nicht nehmen lässt, ständig auf die Künstlichkeit der Situation hinzuweisen: "Nehmen wir an, der Philosoph trage normalerweise den ganzen Tag seinen Pyjama. Am Drehtag wird er dennoch seine Erscheinung konstruieren, dem Auftauchen der Kamera unterordnen." Auch wenn Derrida nicht im Pyjama vor der Kamera auftritt, gelingt es dem Film, trotz vermeintlicher Unnatürlichkeit der Situation, ein präzises Bild des Philosophen zu zeichnen. Man hätte sich über Plato, Rousseau oder Descartes eine solche Dokumentation gewünscht.
Auf die Frage, was Derrida denn selber in einem Dokumentarfilm über einen Philosophen hätte erfahren wollen, sagt er unverblümt: "Etwas über das Sexleben der Philosophen." Denn, so begründet er, verrieten diese nie etwas darüber. So auch Derrida, der ganz in der Tradition seiner Vorreiter keine Geheimnisse preisgibt: Paradoxerweise sind es gerade diese Momente des "Sich-Nicht-Zeigens", in denen es dem Film gelingt, der Person Derrida am nächsten zu kommen.
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