Filmkritik
Erinnerungen an das Vergessen
Vier Juden, aus dem Irak vertrieben und als Araber im jungen Israel nur mässig willkommen, erzählen von Ihren Erinnerungen an den Irak und ihren Neustart im gelobten Land.
"Vor über 45 Jahren wurde ich geboren in einem Schurkenstaat." Samirs Eröffnungssatz ist der erste und zugleich einzige direkte Bezug zur Tagesaktualität, denn er möchte uns in einen anderen Irak führen: den Irak seines Vaters, den Irak seiner frühesten Kindheitserinnerungen. Bevor dieses Land gänzlich zum Spielball der westlichen Energiepolitik wurde, lebten Juden, Araber und Christen noch neben- und miteinander. Nach dem zweiten Weltkrieg wanderten jedoch immer mehr irakische Juden oft unfreiwillig in das 1948 gegründete Israel aus. Dem Schicksal dieser so genannten Mizrahim ist dieser Film gewidmet.
Der seit 1961 in der Schweiz lebende Filmemacher Samir selbst ist Moslem. Trotzdem begann er sich für die Vertreibung der jüdischen Iraker zu interessieren. Sein Vater war damals Mitglied der Irakischen Kommunistischen Partei, in der alle Religionen vertreten waren. Vier jüdische Kampfgefährten seines Vaters hat er ausfindig gemacht und interviewt. Die Biographien der vier Männer ähneln sich: Samir Narqqash ist einer der bedeutendsten jüdischen Schriftsteller, der seine Bücher noch in arabischer Sprache verfasst, und gehört damit zu einer aussterbenden Art. Auch Sami Michael ist Autor, schreibt aber wie Shimon Ballas seine Bücher auf Hebräisch. Moshe bzw. Mussa Churi schliesslich hat eine bewegte Zeit als Beamter und später in Israel als Kioskverkäufer und Bauführer hinter sich. Ihre Erinnerungen an das Vergessen Baghdads sowie ihre Erfahrungen als Mizraim bilden den Kern des Films. Darüberhinaus hat Samir mit der Soziologin Ella Habiba Shohat eine Gesprächspartnerin gefunden, die seit Jahren für die Rechte der Mezraim einsteht und daher viel Erhellendes in diese Doku mit einfliessen lassen kann.
Samir schafft es mit Forget Baghdad, diesem spannenden Thema gerecht zu werden und es stimmungsvoll und ästhetisch zu präsentieren. Ohne Spektakel zwar, dafür mit treffend ausgewählten Ausschnitten aus Spielfilmen illustriert, insbesondere einem kaum bekannten Film von Ephraim Kishon, der das Schicksal der Mizrahim als Komödie aufnimmt. Entstanden ist so ein spannendes Zeitdokument, das Licht auf ein wenig bekanntes Stück der Weltgeschichte wirft und, so hofft Samir, "eine neue Sicht auf den gegenwärtigen Konflikt öffnet und verdeutlicht, dass es Parallelen zu den Verhältnissen bei uns in Europa gibt."
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