Ich hiess Sabina Spielrein Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Schweden, Schweiz 2002 – 98min.
Filmkritik
Eigenwillige Frau zwischen allen Fronten
Die Russin Sabina Spielrein war die erste Analysepatientin – und Geliebte – von Carl Gustav Jung, wurde selber eine der frühesten Psychoanalytikerinnen, veröffentlichte komplexe wissenschaftliche Arbeiten, gründete das erste Institut für Psychoanalyse in Russland – und war bis in die Siebzigerjahre weitgehend vergessen. Die Regisseurin Elisabeth Marton folgt ihren Spuren und entdeckt eine spannende Frau, kommt aber visuell über einen Reigen schöner Bilder nicht hinaus.
Sabina Spielreins Leben war zweifelsfrei das, was man als bewegt bezeichnen würde. Ihre Eltern schicken die Jugendliche aus Russland nach Zürich in die Behandlung des Psychiaters C. G. Jung am Zürcher Burghölzli. Jung behandelt die Patientin nach der damals neuen, von Sigmund Freud entwickelten psychoanalytischen Methode. Die Beziehung zwischen Arzt und Patientin entwickelt sich zur vertrackten Herzensangelegenheit, in welche auch Sigmund Freud involviert wird, da beide Seiten ihn als Ratgeber in Anspruch nehmen.
Aus der Patientin wird nach ihrer Genesung eine Psychoanalytikerin. Als erste Frau veröffentlicht sie im angesehenen Jahrbuch für Psychoanalyse; zehn Jahre vor Freuds Tochter Anna, die als Begründerin der Kinderpsychologie gilt, publiziert Sabina Spielrein bereits zum diesem Thema; sie korrespondiert mit Jung und Freud, und nachdem die beiden sich überworfen haben, versucht sie zu vermitteln. 1923 zieht Sabina Spielrein nach Moskau und gründet dort das erste Institut für Psychoanalyse. Nachdem aber die Psychoanalyse und damit auch ihre VertreterInnen bei Stalin in Ungnade gefallen sind, gerät Sabina Spielrein bereits zu ihren Lebzeiten im Westen in Vergessenheit. Zuletzt wird die Jüdin Opfer der in Russland einmarschierenden Deutschen.
Elisabeth Marton folgt in ihrem dokumentarisch angelegten Film den Spuren dieser aussergewöhnlichen Frau. Sabina Spielrein hinterliess ein ausführliches Tagebuch und eine ausgedehnte Korrespondenz mit ihrer Familie und den Herren Kollegen C.G. Jung und Sigmund Freud, welche ihrerseits über die "Affaire Spielrein" korrespondierten. So sind mindestens die ersten vierzig Jahre ihres Lebens gut dokumentiert. Marton lässt hauptsächlich die Akteure selber durch ihre schriftlichen Hinterlassenschaften zu Wort kommen und fügt nur kurze, erklärende Informationen ein. Diese Textkollage bebildert sie mit Fotografien und gestellten Szenen, in denen die Schauspielerin Eva Österberg als Sabina Spielrein in geheimnisvollen Licht- und Schattenspielen an Fenstern steht, in Betten liegt oder durch die Natur spaziert. Diese Bilder sind oft von berückender Schönheit.
Was sie aber nicht können – und nach Absicht der Regisseurin auch nicht sollen – ist einen Eindruck dieser Frau, ihres Lebens und Alltags vermitteln. Die "Suche nach unerforschten Seelenlandschaften", wie sie die Psychoanalyse unternimmt, habe, so Marton, den Weg gewiesen. Im Laufe des Filmes geschieht jedoch immer mehr das Gegenteil: Die Bilder vermitteln das äussere Bild einer ausdrucks- und willensstarken Frau, geben jedoch den Blick hinter die Oberfläche nicht frei, sondern vernebeln ihn mit Unschärfen und altertümlicher Einfärbung.
So bleibt es Elisabeth Martons Verdienst, dass sie die öffentliche Aufmerksamkeit auf eine Frau lenkt, die nicht nur eine starke Persönlichkeit mit einer ausserordentlichen Biografie war, sondern in der Frühphase der Psychoanalyse Leistungen erbrachte, die lange Zeit vergessen – oder verdrängt? – wurden. Die interessantesten Informationen kommen dabei allerdings von der Tonspur. Die Bild-Ebene erinnert eher an ein Album mit verblassenden Fotografien, die das Geheimnis der Menschen, die dort abgebildet sind, nicht preisgeben wollen.
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