Filmkritik
Wenn des Henkers Herz erwacht
Das indische Kino ist weiter auf dem Vormarsch: In "Le Serviteur de Kali" erzählt Regisseur Adoor Gopalakrishnan die Leidensgeschichte eines alten Scharfrichters, den plötzlich Gewissenbisse quälen.
Willkommen im Süden Indiens, genauer in Kerala. Dort wohnt am Rande eines kleines Dorfes ein alter Kauz, der einen nicht ganz alltäglichen Beruf ausübt: Er ist ein Henker - und zwar nicht irgend ein x-beliebiger, sondern derjenige des gebieterischen Maharadschas von Travancore. Doch der Prestige-Job hat längst an Glanz verloren. Seit Generationen lebte die Familie des Todesengels Kaliyappan von den Vergünstigungen, die ihr der Maharadscha nach jedem verrichteten Job gewährte. Doch mittlerweile herrscht in dieser Hinsicht Ebbe und Kaliyappans Sippe fristet ein Dasein in Armut.
Das wäre an sich ja schon Grund genug zur Sorge. Doch der tatterige Henker kämpft zusätzlich noch mit anderen Dämonen. Sein Gewissen macht sich bemerkbar, und Schuldgefühle schleichen sich ein in das Herz des Lebenslicht-Ausbläsers. Es kommt soweit, dass ihn Panik ergreift wegen seiner nächsten Hinrichtung. Darum flüchtet er sich in den Alkohol und versucht so, seine Pein zu ersäufen. Derweil zieht neues Unheil auf - Kaliyappans Sohn soll an seiner Stelle das Urteil vollstrecken.
Der 63-jährige Regisseur Adoor Gopalakrishnan gehört zu den zentralen Figuren des indischen Kinos. Sein Gespür für fesselnde Geschichten hat er in der Vergangenheit zur Genüge bewiesen, und auch mit "Le Serviteur de Kali" bietet er ein sehenswertes Stück Unterhaltung fernab des Popcorn-Kinos. Wer Bilderpracht mag und sich dem indischen Kino im Allgemeinen zugetan fühlt, wird die opulente Optik als Fest fürs Auge empfinden..
Der Story zu Gute halten muss man, dass es nicht vordergründig um das Stillen des Blutdurstes geht. Vielmehr steht die innere Zerrissenheit eines Greises im Vordergrund. Wo Hollywood möglicherweise beim delikaten Henkers-Thema vielleicht plakativ die Schockschraube angezogen hätte, bemüht sich der indische Regisseur, den Protagonisten nie als abgestumpftes Ungeheuer darzustellen. Der Schmerz und der innere Widerspruch, die Kaliyappan aufzufressen drohen, treten förmlich aus der Leinwand heraus.
Doch auch um den Gegenpol - die Liebe in ihren verschiedenen Facetten - kreist "Le Serviteur de Kali" immer wieder. Da gibt es die umsorgende Ehefrau und den gläubigen Sohn, der Gandhi zugetan ist und einen friedlichen Kampf für die Freiheit führen will. Und dann sind da noch die zwei Töchter des Henkers - die eine mit einer Bilderbuchbeziehung, die andere gerade erst zur Frau gereift.
Ein unbequemes Thema, aber ein faszinierender Film über die Leiden des Daseins, festgehalten in vielfältigen, farbigen und eindringlichen Bildern. Zum Spaziergang wird der Kinobesuch aber sicher nicht.
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