Filmkritik
Kunst an der Natur im Fluss
Der Naturkünstler Andy Goldsworthy arbeitet an seinen Werken. Er formt Neues aus dem, was die Erde her gibt. In "Rivers an Tides" schaut ihm der Dokumentarfilmer Thomas Riedelsheimer dabei in vier Ländern, durch vier Jahreszeiten hindurch über die Schulter. Präzis, zurückhaltend und in seiner Visualität schon fast meditativ.
Andy Goldsworthy arbeitet in und mit der Natur. Er stellt Materialien, die er vor Ort findet, in einen neuen Kontext. Er modelliert die Landschaft, um sie zu verstehen. Davon macht er Fotos: "Ich möchte diesen Zustand verstehen, diese Energie, die ich in mir habe, die ich ebenso in den Pflanzen und in der Landschaft spüre. Diese Energie, das Leben, das durch die Landschaft strömt", beschreibt Goldsworthy seine Motivation. Die Bildbände, die diesen leidenschaftlichen Umgang mit der Natur dokumentieren, sind weltweit bekannt. Sie gehören zu den erfolgreichsten Fotobänden der letzten Jahre. Andy Goldsworthy zählt, neben Richard Long, zu den bedeutendsten Vertretern der Land-Art.
Für "Rivers and Tides" hat der Filmemacher Thomas Riedelsheimer Andy Goldsworhty bei Arbeiten begleitet, die sich dem Thema "Zeit" widmen. Er zeigt zum Beispiel, wie Goldysworthy an der Küste flache Steine aufeinander häuft, bis sie die Form eines mannshohen Kegels erhalten. Was wir sehen, ist eine mühselige Beschäftigung. Mehrmals bricht der Steinkegel in halber Höhe auseinander. Und als er endlich steht, wird er – wie beabsichtigt – nach wenigen Stunden ein Opfer der Flut.
Was bleibt, sind die Bilder, die Goldsworthy von seinem Objekt geschossen hat. Und in diesem Fall der Film davon. Riedelsheimer hat Goldsworthy über vier Jahreszeiten hinweg beobachtet. Er zeigt den Künstler, wie dieser lange Bahnen Schafwolle über die Steinmauern seiner schottischen Heimat legt, wie er einen grossen Stein mit Moor bestreicht, wie er eine Schlange aus grünen Haselnmussblättern den Fluss hinabtreiben lässt, wie er grosse Haufen Pulverschnee starken Windböen preis gibt.
Oft finden die Aktionen in Wassernähe statt. Oft zeigen sie die Vergänglichkeit der Zeit als fliessende Bewegung. Der Fluss ist ein metaphorisches Bild, das Goldsworthys Arbeit prägt, und das er systematisch einsetzt: "Der Fluss ist auf irgendeine Weise diese Linie, der ich folge. Der Fluss hat etwas Unberechenbares an sich... Der Fluss ist nicht vom Wasser abhängig – wir reden über das Fliessen. Und vom Fluss des Wachsens, der durch die Bäume und das Land strömt."
Film ist das passende Medium, um das vergängliche Schaffen von Andy Goldsworthy festzuhalten. Im Gegensatz zu Goldsworthys Fotos, die immer nur Momentaufnahmen sein können, gelingt es Riedelsheimer, mit seinem Dokumentarfilm den Prozess der Entstehung und Veränderung von Goldsworthys Werken zu veranschaulichen. Seine Aufnahmen erreichen mit geringen Mitteln eine visuelle Aussagekraft, die einen mitreisst und durch Fred Friths Musik eine perfekte Ergänzung erfährt. Und zwar unabhängig davon, wie viel Sinn man einer Blätterschlange im Fluss abgewinnen kann.
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