Filmkritik
Fire on Ice
Geht nach Island, rät der in Berlin lebende Kultautor Wladimir Kaminer seinen russischen Landsleuten, die sich mit dem Gedanken tragen, ihre Heimat zu verlassen. Da ist noch Platz! Kaminer verschweigt boshaft, was Baltasar Kormakur schon in seinem Erstling "101 Reykiavik" vorführt. Island ist ein eigentümlich Land. In seinem Familiendrama "The Sea" ist das nicht viel besser. Aber nicht minder sehenswert.
Baltasar Kormakurs Neuer, eine Art ländliches Gegenstück zu "101 Reykiavik", hat viel von der Leichtfüssigkeit seines beklatschten Erstlings, jener skurrilen Tragikomödie um den arbeitslosen Hilmir, der tagsüber Porno surft, nachts sich vollaufen lässt und wochenends mit Mutterns Freundin schläft. Und das, obwohl sich Kormakur in "The Sea" ein wahrlich ernstes Thema vornimmt: Das Quotensystem der isländischen Fischerei bildet den Hintergrund für ein Familiendrama grösseren Ausmasses.
Vater Thordur (Gunnar Eyjolfsson), ein KMUler Marke Old School, ruft seine Familie zu sich, um das Überleben seines Fischereibetrieb zu regeln. Was vielleicht nicht gerade ein Fest hätte werden sollen, aber wenigstens ein nettes Beisammensein, gerät zur Katastrophe. Erstens, weil die erwachsenen Kinder anderes im Kopf haben als die Fischerei. Und zweitens, weil ein paar Bissen geräucherter Haifischflosse und ziemlich viel Dosenbier den berühmten schlafenden Hund wecken. Die Katastrophe ist heftig. Heftiger, als wenn ein Geysir den Schnupfen hat. Mindestens so heftig, wie wenn ein Vulkan kräftig hustet. Das Spiel mit der Wahrheit ist halt immer auch ein Spiel mit dem Feuer.
Fisch, Familie, "Festen": Auf diese saloppe Kurzformel gebracht, scheint mit "The Sea" ein Film entstanden, der leicht baden gehen könnte, wenigstens hierzulande. In Island soll "The Sea" erfolgreicher gelaufen sein als "The Lord of the Rings" und "Bond 20". Im Drehbuch geistert allerhand Anstrengendes in Form von Shakespeare's "King Lear" und "Hamlet" herum, von den fetten Anleihen bei "Festen", dem Ur-Dogma von Thomas Vinterberg, ganz zu schweigen. Baden gehen aber wird "The Sea" nicht.
Kormakurs Sarkarstik, seinem nachgerade rabiatem Humor ist es zu verdanken, dass "The Sea" nicht zum heilig-ernsten Familiendrama und lupenreinen "Festen"-Abklatsch verkommen ist. Und weil da ganz famos agiert wird, vor allem von Hilmir Snaer Gudnason, der schon in "101 Reykiavik" gezeigt hat, dass er etwas kann. Und weil die Kamera nicht wackelt. Kormakurs Film lebt gut von den wunderschönen Bildern einer Natur, die zwar so wunderbar ist, wie Kuoni und Konsorten in ihren Hochglanz-Prospekten vorgaukeln, aber eben nur an der Oberfläche. Was sie für Menschen gebiert, ist schon schön bemerkenswert. Da spricht ein Isländer mit viel Hassliebe - nicht nur zu seinen Landsleuten.
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung