Filmkritik
Die Sahara als Oase der Menschlichkeit
Wüsten faszinieren und locken, beflügeln unsere Fantasie und wecken unsere Abenteuerlust. Dies wurde schon manchen zum Verhängnis, erst kürzlich wurden die letzten Schweizer Geiseln in Mali freigelassen. Auch der Islam, die zur Zeit bestimmende Religion im Norden der Mutter aller Wüsten, ist in Verruf geraten und leidet unter schlechter Presse.
Ulrike Koch "entführt" uns in ihrem Dokumentarfilm über die Tuareg nicht nur in eine Region, deren Bild in unseren Medien jahrelang von bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen - unter anderem zwischen rigiden Regierungen und flexiblen Nomaden - geprägt war, sondern auch in ein orientalisches Märchen. Dieses Wunder gelingt ihr mit den unwahrscheinlich schönen Bildern von Landschaft, Wolken und Sternenhimmel, die der famose Pio Corrado eingefangen hat, mit dem Fokussieren auf eine beinah heile Welt, in der die Menschen ihren festen Platz in Gesellschaft und Natur besitzen, und mit einer geschickten Dramaturgie sowie kluger Auswahl des Stoffs.
Gewährt sie uns einen Blick ins Paradies? Wie schon beim vielbeachteten Vorgänger "Die Salzmänner von Tibet" handelt es sich nicht um eine Fata Morgana, sondern um das aufs Wesentliche reduzierte Bild einer vom Aussterben bedrohten Kultur, die zwar mit den natürlichen Risiken wie Dürre und Krankheiten überleben kann, aber unter fremden Eingriffen stark zu leiden hat. Diese Problematik wird nicht thematisiert, denn im Mittelpunkt stehen der Umgang mit den Tieren, die Feste, das Essen, die Musik, das Aufbauen der Zelte und die Rituale - alles in idealer Form.
Ulrike Koch verbrachte mehrere Monate in der Region und mit den Menschen, die im Film zu sehen sind, um deren Vertrauen zu gewinnen. Die sorgfältige, mehrjährige Vorbereitung erlaubte es ihr, unter die Oberfläche zu den Gedanken und Vorstellungen vorzudringen, zum Kern der Gesellschaftsordnung: "Ässhäk" ist das überlegte, mass- und rücksichtsvolle Verhalten mit Respekt gegenüber Mensch, Tier, Pflanze, Landschaft und Tradition.
Diese Erkenntnis gewinnen wir unmittelbar aus Erklärungen der Tuareg, da auch in diesem Fall auf einen Kommentar verzichtet wird. Ebenfalls im Stil des modernen Dok-Films wird eine imaginierte Traumsequenz eingewoben, die elegant den roten Faden fortführt - die Suche nach einem entlaufenen Kamel - und eine Verbindung zu den Mythen herstellt, die in Gesprächen, Riten und Felszeichnungen gegenwärtig sind.
Die ethnisch beeinflusste, dezente Musik von Harry de Wit passt bestens zur Originalmusik und zur ruhigen, von jeglicher Hektik freien Atmosphäre dieser versöhnlichen Schilderung einer äußerlich völlig anderen Welt, von deren hohen Sittlichkeit wir uns aber eine dicke Scheibe abschneiden sollten.
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Kommentare
Wunderschön! ich wünsche mir, dass alle Menschen auf dieser Welt diesen Film sehen, verstehen und lieben könnten.
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