Filmkritik
Eine Reise zu sich selbst
Zwei Brüdern, die sich nicht kannten, machen sich auf die Suche nach ihrem italienischen Vater. Die Reise führt an die Adria und in die eigene Vergangenheit. Ein leises Spielfilmdebüt des Schweizers Rudolph Jula.
Eine tote Mutter und ein unbekannter Vater: Das ist die Ausgangssituation einer Entdeckungsreise. Nach dem Tod seiner Mutter entdeckt Martin (Merab Ninidze) ein Familiengeheimnis: Seine Mutter hatte ein Liebesverhältnis mit einem italienischen Gastarbeiter, mit Giuseppe, seinem Vater. Und Martin hat einen Bruder, Stefan (Lucas Gregorowicz). Beide wussten bislang nichts voneinander.
Die erste Begegnung zwischen dem ungleichen Geschwisterpaar verläuft etwas quer, um nicht zu sagen tragikomisch. Stefan, Barkeeper in einem trendigen Club, ist schwul und lebt locker in den Tag beziehungsweise in die Nacht hinein. Er hält den Gast Martin, der ihn aufmerksam mustert, für einen Lover. Doch der will keinen Sex, sondern Aufmerksamkeit und Interesse für die gemeinsame Vergangenheit. Martin, der gutbürgerliche ordentliche Familienvater, begibt sich auf die Suche nach seinem Erzeuger. Zunächst weigert sich Luftikus Stefan mitzukommen, doch dann ändert er seine Meinung. Er ist es letztlich, der konsequent die Suche in Italien fortsetzt, als Martin quasi das Handtuch wirft. Irgendwo zwischen Cattolica an der Adria, Foggia und der Stiefelspitze kommen sich die beiden auch menschlich näher. Tatsächlich finden sie ihren gemeinsamen Vater Giuseppe (Giacinto Ferro), der nichts von der Existenz Stefans weiss. Und das wird auch so bleiben.
Während der gutbürgerliche Martin, selber Familienvater, seinen Frieden bei Giuseppe findet und sozusagen den Kreis schliesst, bleibt Stefan ein anonymer Beobachter, der sich seinem Vater nicht zu erkennen gibt. Er hätte schon einen Vater, begründet Stefan sein Verhalten gegenüber dem Bruder. Auf dieser Reise in die Vergangenheit werden Erinnerungen plastischer und wirklicher als die Realität. Sie sind Antriebsfeder, doch die Kernfrage des Films dreht sich um das alte Gedankenspiel: Was wäre wenn...?
"Stell dir vor, wir sähen gleich aus, aber wir wären ganz andere Menschen, wenn wir mit unserem Vater in Italien aufgewachsen wären", sinniert Stefan einmal. Zufall, Fügung, Schicksal? Das Leben nimmt seinen Lauf, und die Erinnerungen bleiben unwiederholbar. Stefan hat es akzeptiert. Eine Liebe, eine Zwangssituation, eine Stimmung, eine Weggabelung entscheiden.
Rudolph Jula, selbst Sohn eines italienischen Vaters und einer Schweizer Mutter, beschreibt in seinem Debütfilm sympathisch liebevoll den Versuch, zerrissene Familienbande neu zu knüpfen, und die Sehnsüchte zweier Brüder, die sich fremd waren und Freunde wurden. Julas Spurensuche wirkt allerdings dokumentarisch, etwas spröde und ungelenk. Das hängt auch mit den Hauptdarstellern zusammen: Lucas Gregorowicz ("Das Wunder von Bern") als hedonistischer Schwuler Stefan wirkt wie ein Mitläufer, blass und blasser, je länger die Reise dauert; Merab Ninidze ("Nirgendwo in Afrika") als Familienmensch Martin überzeugt eher. "Cattolica" ist ein Film fürs Lunchkino, für Zuschauer, die sich gern auf eine gemächliche Selbstfindungstour mitnehmen lassen.
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