Filmkritik
Kampf um die Demokratie
Aktuelle politische Ereignisse haben das urspünglich als Langzeitstudie angelegte Porträt eines Schweizer Diplomaten in ein spannendes Zeitzeugnis über den Kampf eines Landes für die Demokratie verwandelt.
"Als Privatmann Dominik Langenbacher sage ich: Ratsiraka ist ein Verbrecher. Als Diplomat und Vertreter der Schweiz aber sage ich: Herr Ratsiraka: die Menschenrechte?! und Herr Ratsiraka, die Konventionen?!": Irrwitzig ist der Zwiespalt, in dem sich der Schweizer Dominik Langenbacher im Winter 2001/2002 auf Madagaskar wiederfindet, spannend der Dokumentarfilm von Thomas Lüchinger, der das Geschehen unprätentiös rapportiert.
Fünfzig Jahre alt ist Langenbacher als er 2001 das Amt des Chargé d’affair der Schweizer Botschaft in Antananarivo, Madagaskar, antritt. Der Jurist ist Sohn eines Diplomaten, hat als Mitglied der Schweizer UN-Mission in New York, als Koordinator der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit in Kenia und als Chef der Uno-Sektion des EDA verschiedene Stationen im diplomatischen Dienst durchlaufen und ist für die Arbeit in der Schweizer Botschaft Antananarivos prädestiniert.
Dass Langenbacher mit einer Kenianerin verheiratet ist, und "Afrika ins Herz geschlossen hat", sollte ihm die Aufgaben zusätzlich erleichtern: Kurz und wohltuend schnöde liefert "Der Diplomat" am Anfang die zu seinem Verständnis nötigen Hintergrundinfos. Klar wird dabei auch die Verbindung zu Lüchingers früheren Werken; den filmischen Pilgerreisen "Schritte der Achtsamkeit" und "Ein neuer Anfang", die auf den Fersen des Zenmeisters Thich Nhat Hahn nach Asien führen, und zu dem in der Steppe von Mexiko gedrehten Künstlerporträt "Agnes Martin - On a Clear Day": Lüchinger mag Aufbrüche und Neuanfänge, und was ihn umtreibt ist die Frage des Menscheins. Wie, fragt Lüchinger, meistert ein Mensch seine Lebensaufgabe? Wie reagiert er auf Unvorhergesehenes, wo liegen seine Stärken, wo zeigen sich seine Schwächen? Im Spätherbst 2001 ziehen Dominik Langenbacher und seine Frau Bilha nach Madagaskar. Lüchinger begleitet die beiden auf ihrer Reise und bei der Ankunft. In den folgenden Monaten stattet er ihnen mehrere Besuche ab: Geplant ist "Der Diplomat" als Langzeitstudie.
Doch im Winter 2001/2002 überstürzen sich im "Armenhaus der Welt" die Ereignisse: Der seit 25 Jahren diktatorisch amtierende Präsident Didier Ratsikara wird herausgefordert. Wahlen lassen den Herausforderer Marc Ravalomanana als Gewinner hervorgehen - doch Ratsikara weigert sich abzutreten. Das Volk geht auf die Strasse, Ratsikara spielt seine letzten unsauberen Trümpfe: Madagaskar rasselt in eine innenpolitische, soziale und wirtschaftliche Krise.
Langenbacher beobachtet die Situation. Privat sieht er sich mit einer für sich, seine Gattin, vor allem aber für seine einheimischen Angestellten zunehmend schwierigen Situation konftontiert; von Amtes wegen versucht er zu vermitteln. Auf den dadurch entstehenden Zwiespalt fokussiert Lüchingers Film. Er zeugt einerseits von der Zerreissprobe, der ein Mensch im diplomatischen Dienst ausgesetzt ist. Andererseits berichtet er aber auch vom Kampf eines jahrelang unterdrückten Volkes für Freiheit und Demokratie. Kein "schöner", aber ein eindringlicher Film.
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