Filmkritik
Roth sehen und sterben
Ein Dokumentarfilm über den schweizerisch-deutschen Künstler Dieter Roth? Keine leichte Aufgabe. Edith Jud meistert sie bravourös. Und macht Lust auf mehr.
Eigentlich hätte "Dieter Roth" nur ein kurzes Dokumentarfilmchen werden sollen, ein kleiner Beitrag zu der grossen Roth-Austellung, die derzeit im Schaulager Basel stattfindet. Doch im Verlaufe ihrer Recherchen gelangte Edith Jud zu der Überzeugung, dass die Fülle des Materials nach einem dichteren Film verlange, zumal bis dato keine Dokumentation über den grossen Künstler vorliegt, die den Namen verdient.
Dichter, lies länger. Kein Wunder, bei diesem Mann oh Mann, der kaum etwas nicht war, und was er war, ohne Vergleich. Maler, Zeichner, Plastiker, Designer, Dichter, Musiker, Filmer, Verleger, Installationskünstler, Lehrer, Kurator, Mäzen, Vater, grosser Trinker und ein noch grösserer Liebhaber der Frauen. Oder wie der Fachmann sagt: Einer der innovativsten Grafiker der Nachkriegszeit, ein früher Meister des abflauenden Neokonstruktivismus der 50er Jahre, ein eleganter Pop-Artist in den 60ern, und zwar einer mit Hang zum Absurden. Und ein Aktionist. Und ein Meister der kurzlebigen Materialien, beharrlich auf der Suche nach der Weise des Verlebens der Dinge, ein Fan des Verschimmelns, Macher von Schokolade-Bildern, ein Künstler, noch lange nicht zuletzt, bei dem es auf einzigartige Weise nicht möglich ist, eine Trennlinie zwischen Leben und Werk zu ziehen. Roth's Leben ist Werk und Roth's Werk ist Leben.
Kann man dem allem beikommen, ohne dass der Film zu einer kunstgeschichtlichen Vorlesung verkommt? Man kann, das heisst, Edith Jud kann es, weil sie sich nicht von Roth's Furor, dessen atemberaubernder Originalität, von der noch die abseitigste seiner Handlungen trunken scheint, zu einem artsy-fartsy-Dings von Kunst-Dok verleiten lässt - und bei Gott, das könnte man! Stattdessen setzt sie eine fast brave Kreuzung von Oral-History-Dok und O-Ton-Roth in die Welt. So berichten zum einen Weggefährten, allen voran Roth's Sohn Björn Roth, aber auch seine Ex-Frauen Sigridur Björnsdottir und Dorothy Iannone sowie Künstlerfreunde (Arnulf Rainer, Hermann Nitsch, Richard Hamilton und andere) von ihrem Leben und Arbeiten mit Roth. Zum anderen tritt Roth selber auf - so gut es einer noch kann, der seit fünf Jahren tot ist. Aber das Roth'sche Oeuvre ist, nicht nur was die vielen Video-Arbeiten betrifft, in denen der Künstler als Performer seines Alltags auftritt, äusserst telegen.
Edith Jud's Dokumentarfilm zeigt viel Roth, gerade weil er keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, keine Werkschau veranstaltet, nicht ex cathedra schulmeistert, sondern gezielt und genau und geduldig schaut. Weil er sprechen lässt, wer Roth liebt und was Roth ist. Dass man denkt, wenn es hell wird im Saal, eigentlich hätte ich ja lieber nur Dieter Roth gesehen, kann man dem Film beileibe nicht vorwerfen. Ab nach Basel!
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