Historias Minimas Argentinien, Spanien 2002 – 94min.

Filmkritik

Leise, kraftvoll, Sorin

Stefan Gubser
Filmkritik: Stefan Gubser

Argentinien mag pleite sein, und die Gauchos mögen an der letzten Fussball-Weltmeisterschaft versagt haben. Aus dem Land des Tangos kommt trotzdem manch Gutes. Zum Beispiel der neue Film von Carlos Sorin. Ein poetisches Werk der leisen Töne.

Die Geschichte von "Historias Minimas" ist rasch erzählt - auch wenn es drei sind. Sie sind ja klein, wie der Titel verrät, sehr klein sogar. Tausende Meilen südlich von Buenos Aires sind drei Menschen auf den einsamen Landstrassen Patagoniens unterwegs. Der alte Mann (Antonio Benedictis) ist aufgebrochen, um seinen vor Jahren entlaufenen Hund zu suchen, den jemand in der benachbarten Stadt gesehen haben will. Ein Handelsreisender (Javier Lombardo) ist mit seinem Auto und einer grotesken Torte unterwegs, mit deren Hilfe er eine Kundin herumkriegen will. Und da ist die mausarme junge Frau (Javiera Bravo) samt Kleinkind unterm Arm. Sie macht sich auf, in einer Fernsehshow eine Küchenmaschine zu gewinnen.

Tönt ziemlich unspektakulär, was der ehemalige Werbefilmer Carlos Sorin, der mit seinem Erstling "La Película del rey" in Venedig einst einen Silbernen Löwen erlegt hat, als seinen dritten Spielfilm anträgt. Ist es auch, und das ist gut so: "Historias Minimas" ist einer jener Streifen, die man gerne etwa als "kleines filmisches Kunstwerk" oder als ein "Werk von reiner Schönheit" zu bezeichnen pflegt.

Geschenkt. Und "Historias Minimas" ist sogar noch mehr. Ein Roadmovie zum Beispiel, und zwar einer der langsamen Art. Einer, der beinahe ganz auf die genre-typische Verbindung von Verbrechen und Geschwindigkeit verzichtet. Motorenlärm und Sirenengeheul? Fehlanzeige. Was sich da abspielt im tiefsten Nichts Argentiniens in den drei Niemands ist die immer wieder schöne Geschichte von der Reise als Selbstfindung, mehr oder weniger ironisch gebrochen selbstverständlich. Das hat schon etwas von Aki Kauriskmäki im Gaucholand.

Aber "Historias Minimas" ist auch ein bisschen Dogma-Film. Nicht, weil ständig die Kamera wackelte oder die Räume schlecht ausgeleuchtet wären. Schon wieder vergessen, dass der werte Herr Regisseur einst als Werbefilmer begann? Etwas Dogmaeskes hat vielmehr Sorin's Herangehensweise: Nur mit drei Skizzen aus der Feder von Drehbuchautor Pablo Solarz im Gepäck soll Sorin sich auf die Reise gemacht haben, um die geeigneten Darsteller zu finden. Laien, versteht sich - mit Ausnahme von zweien. Wer die sind? Ist erstens nicht wichtig und zweitens von blossem Auge nicht sichtbar.

Wichtig zu wissen ist indes: "Historias Minimas" ist keiner jener "Peliculas", bei denen man nie weiss, was wahr ist und was nicht, die also übergehen an jenem surrealistischen Durcheinander, das die Aficionados so lieben an den Filmen aus Südamerika und allen anderen schnell Vedruss bereitet. Poetisch ist der Film, das sicher. Und beseelt von einem wahrlich feinen Humor. Ja ja, ein schöner Film, der neue Sorin. Den kann man sich ruhig antun.

31.05.2021

4

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