Filmkritik
Frustration macht genial
Als Louis I. Kahn, einer der Pioniere der modernen Architektur, 1974 im Männerklo der New Yorker Penn Station an einer Herzattacke stirbt, hinterlässt er eine halbe Million Schulden und drei Familien. Nathaniel, sein unehelicher Sohn, will wissen, wer sein flüchtiger Vater war. Eine sensationell gelungene Dokumentation, 2004 Oscar-nominiert, die durch ihre Vielschichtigkeit überzeugt und ausserdem bestens unterhält.
Zugegeben, es mutet wie ein abschreckend narzistisch motiviertes Vorhaben an, wenn sich der Sohn auf die Spuren seines Erzeugers macht. Doch Dokumentarfilmer Nathaniel Khan, beim einsamen Tod seines Papas elf Jahre alt, scheint die geistige Grösse von seinem Vater geerbt zu haben und macht seine persönliche Geschichte Teil eines viel umfassender angelegten Unterfangens: Ein genial gewobenes sozial-, kultur- und architektur-historisches Dokument, das für jedermann zugänglich ist.
Nathaniel Kahn reist den Bauten seines Vaters nach, um Anhaltspunkte zu finden, die ihn besser verstehen liessen. Dabei trifft er auf Mitarbeiter, Weggefährten, Kritiker und Koryphäen der Architektur der Moderne: Der charmante I. M. Pei, Frank Gehry und Philip Johnson, auf dem Rasen vor einem seiner Glaskuben interviewt, aber auch texanische Bauführer mit limitiertem Kunstverständnis erinnern sich. Ein chronischer Reiser sei er gewesen, arbeitsüchtig und trotzdem verträumt. Ein besonderer Mensch. Und ein schwieriger.
In der Tat war es Louis I. Kahn, der als Kind jüdischer Eltern von Estland in die USA immigrierte, nicht vergönnt, viele seiner Projekte umzusetzen. Unrealisiert blieb zum Beispiel die Neu-Planung des Stadtzentrums von Philadelphia - die Menschen sollten ihre Autos in Silos vor der Stadt lassen und zu Fuss ins Zentrum gehen. Doch die langen Durststrecken haben ihn zu Meisterwerken inspiriert, die sich durch eine selten gesehene Spiritualität auszeichnen: Das Salk Institute in Kalifornien, das Kimbell Art Museum in Texas oder das Regierungsviertel von Bangladesh, in 23 Jahren erbaut und der grosse Stolz der Bevölkerung.
Dass er drei Familien aneinander vorbeijonglierte, wissen nur wenige. Seine Liebhaberinnen, die Tochter von Ehefrau Esther und Eingeweihte kommen zu Wort und erzählen vom Mythos Louis I. Kahn: ein Mann mit zernarbtem Gesicht, der erst sehr spät, nach 50, seinen eigenen Weg in der Architektur findet und dann keine Zeit mehr hat, Familie(n) und Beruf unter einen Hut zu bringen. Bei Nathaniel und seiner Mutter, einer Landschaftsarchitektin, kommt er nur zu Besuch und schürt die Hoffnung auf ein baldiges Zusammenleben. Jede Lehrtätigkeit auf der weiten Welt nimmt er hingegen enthusiastisch an.
Kahn beglückt die Nachwelt seines Vaters mit einer stilvollen Dekomposition des Mythos, einer Hommage an den Architekten und den viel geprüften Menschen. Dabei bringt er kritische Stimmen genauso zur Sprache wie seine ganz persönlichen emotionalen Frustrationen, und wird trotzdem niemals weinerlich. Vater wie Sohn erscheinen jedenfalls grösser als die Summe der Einzelteile, die man von ihnen mitbekommt und faszinieren durch ihre schöpferische und inspirierende Kraft.
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