The Brown Bunny Frankreich, Japan, USA 2003 – 90min.

Filmkritik

Flucht vor der Vergangenheit

Filmkritik: Irene Genhart

Vincent Gallos zweiter Kinospielfilm ist eine Geduldsprobe für die Zuschauer - die auszuhalten aber reichlich lohnt

Da muss einer eine Liebe vergessen und weiss nicht wie. Bud Clay ist sein Name, er wird von Regisseur Vincent Gallo selber gespielt, und zum Anfang von "The Brown Bunny" sitzt er in New Hampshire auf seinem Motorrad und fährt ein Rennen. Runde um Runde dreht er, die Kamera folgt der goldbraunen Honda mit der Nummer 77 von der Ferne. Geht mit, verliert sie, holt sie wieder ein. Der Ton ist mal laut, mal leise, wer gewinnt, reine Nebensache. Der Protagonist, das stellt Vincent Gallo in seinem zweiten Kinospielfilm nach "Buffalo 66" von Anfang an klar, ist ein Versager, und das Geschehen in der Gegenwart berührt ihn kaum.

Amateurhaft, prüde wirkt der Film in seiner Machart, ist Autorenkino, wie man es in dieser reinen Form selbst in Europa schon fast nicht mehr kennt - Gallo spielt nicht nur und führt Regie, sondern zeichnet auch noch für Drehbuch, Kamera und Schnitt verantwortlich. Kaum ist das Rennen vorbei, packt Clay die Honda in einen Van und fährt los: In fünf Tagen wird er in Kalifornien an den Start gehen. Von Osten nach Westen, quer durch die USA, führt die Reise und ist für Clay Flucht und Rückkehr zugleich: Daisy (Chloë Sevigny) heisst die Frau, die er nicht vergessen kann, und Kalifornien ist der Ort ihrer Liebe.

Doch bis Clay da ankommt, muss er unzählige Kilometer zurücklegen. Er fährt durch weite Landschaften, amerikanische Provinzstädte und Wüsten. Sitzt hinterm Steuerrad, derweil vor der verschmierten Windschutzscheibe die endlose Weite Amerikas vorbeizieht. Ab und zu legt er eine Pause ein. Übernachtet in einem Motel, fährt an eine Tankstelle, hält an einer Raststätte; einmal fährt er auf seiner Maschine ins endlos glimmernde Weiss einer Wüste hinaus.

Ab und zu begegnet er einer jungen Frau: "Begleite mich", fleht er Violet vom Tankstellenshop an. Sie willigt ein, steigt ins Auto, er küsst sie. Bloss die Tasche will sie holen, da fährt er davon und lässt sie stehen, so wie später Rose und Lilly: Wie Blumen am Wege pflückt Clay die Mädchen und schafft es gleichwohl nicht, mit ihnen zusammen zu sein.

Es braucht Langmut, um den ersten Teil von "The Brown Bunny" durchzustehen, doch es lohnt sich. Denn je näher Clay seinem Ziel kommt, desto heftiger plagen ihn die Erinnerungen. Und wenn er dann in Kalifornien vor dem Haus steht, in dem er mit Daisy gelebt hat, an der Motelrezeption ihren Besuch ankündet und sie dann unverhofft in seinem Zimmer steht, wenn dann binnen weniger Minuten eine der heftigsten Sexszenen der letzten Jahre und auch eine der albtraumhaftesten Gewaltszenen der letzten Jahre über die Leinwand zieht, dann bekommt der erste, oft befremdliche Teil seinen Sinn und wirft einen erschüttert auf den Kinosessel zurück.

Im Prinzip macht "The Brown Bunny" alles, was das Hollywood-Kino auslässt. Erzählt von der Dauer der Zeit, der Länge der Wege. Lässt den spannenden Teil der Action aus, zeigt wirklichen Sex, und der Held bleibt dabei rettungslos verloren. Das ist gewagt, provokativ und es mag nicht wundern, dass sich an einem der ungewöhnlichsten, aber in seiner Weise pursten amerikanischen Autorenfilme der letzten Jahre die Gemüter scheiden.

10.11.2020

4

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Kommentare

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movie world filip

vor 12 Jahren

vincent gallo, eigeneartig, weit von mainstream, interessant


gandalf1

vor 20 Jahren

Sehr guter Film!


topflaedi

vor 20 Jahren

Der Film sieht unglaublich langweilig aus, ist er aber nicht


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