Filmkritik
Odyssee der Liebe - eine griechische Tragödie
Sie liebt den Sohn eines Mannes, der sie selber zur Frau haben will, und flieht mit ihrem Geliebten. Dieses Schicksal spiegelt ein Stück griechischer Geschichte im 20. Jahrhundert. Bildgewaltig, poetisch und zutiefst bewegend beschreibt Altmeister Theo Angelopoulos die Odyssee einer Liebe, Last und Verlust einer Frau über drei Jahrzehnte.
Aus dem grauen Nichts bewegt sich eine Menschenschar. Die Flüchtlinge kommen aus Odessa und sind hier in ihrem Stammland gestrandet. Sie nehmen ein Stück Land in Besitz, bauen ein Dorf am Fluss, der wie ein Lebensstrom verbindet und trennt. Man schreibt das Jahr 1919. Ein paar Jahre später. Eine junge Frau, eigentlich noch ein Mädchen, kauert in einem Kahn. Geschwächt. Frauen tragen sie ins Haus. Ein Mann kehrt zurück, seinen Sohn Alexis auf einem Pferd im Schlepptau. Der Patriarch Spyros (Vassilis Kolovos) weiss ebensowenig wie die Zuschauer, dass die zurückgekehrte Eleni (Alexandra Aidini) Zwillinge entbunden hat.
Sie, die Pflegetochter, soll seine Frau werden. Noch während der Hochzeit flieht Eleni mit Alexis, dem wunderbaren Akkordeonisten, nach Thessaloniki. Nikos, der Geiger (Giorgos Armenis), bemüht sich um die beiden, um Jobs und bescheidenes Auskommen. Alexis hat die Chance, in Amerika Musikerkarriere zu machen. Im März 1937 kommt er in New York an. Eleni wird als Helfershelferin der Linken verhaftet und eingelocht. Ihre zwei Söhne, Giannis und Giorgis, verschwinden und werden sich im Bürgerkrieg, der in Griechenland bis 1949 tobte, als Gegner wiedersehen. Am Ende ist Eleni am Ende, hat alles verloren, hat für ihre "verbotene" Liebe bitter zahlen müssen. Ihr Verzweiflungsschrei am Leichnam ihres Sohnes wirkt wie eine Eruption des Schmerzes, ist Infernal und Ausdruck des Leidens und Verlustes des 20. Jahrhunderts.
Altmeister Theo Angelopoulos beschreibt eine moderne griechische Tragödie, eine Odyssee der Liebe und ein Martyrium der Gefühle. Mit suggestiver poetischer Kraft, magischem Gestaltungswillen und einer Musikalität, die wesentlicher Teil seiner Dramaturgie ist. Blaugraue Farbschemen und schmutzige erdige Farbtöne machen sich breit, eher selten durch weisse Tupfer oder Flächen wie ein Hochzeitskleid oder Leintücher durchbrochen. Die Erde weint eben nicht in Pastell oder Hochglanz, sondern dumpf und dreckig.
Es sind diese sorgfältig komponierten Bilder, die sich tief eingraben: Die Heimkehr des Liebespaars mit dem toten Spyros auf schwarz beflaggten Booten, die Abkehr vom Dorf, das vom Fluss ertränkt wurde, ebenfalls auf Kähnen - hier werden mythologische Erinnerungen geweckt. Schafe, die böswillige Dörfler an einen Baum hängten. Leinentücher, auf denen der totgeweihte Nikos letzte blutige Abdrücke hinterlässt. Fauchende Dampfloks, die mehr Unheil denn Hoffnung verkünden. Wasser und Wellen, die locken, tragen und verschlingen.
Theo Angelopoulos ist ein Maler des Kinos, ein Komponist der grossen Gesten, der Räume, die Menschen durchkreuzen, und der verhaltenen Gefühle. Seine Bilder setzen sich über Geschichte und Dramaturgie hinweg, die bisweilen unlogisch, sprunghaft und im letzten Drittel wenig schlüssig scheinen. Die Zeitgeschichte bleibt Randerscheinung und wird zum Fragment.
Gleichwohl schuf Theo Angelopoulos mit "Eleni - die Erde weint" sein bewegendstes, tiefgreifendstes, bildstärkstes Epos. Ein elegisches Meisterwerk von 170 Minuten Länge, das szenenweise an Fellini und Tarkowski erinnert. Die Bilanz eines schrecklichen Jahrhunderts ist als Trilogie angelegt: Der erste Teil endet 1949. Ein zweiter Teil wird sich gemäss Angelopoulos mit der Zeit nach Stalin bis zum Berliner Mauerbau und Vietnam befassen, ein dritter soll im heutigen New York münden.
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