Ein Traum vom Leben mit dem Living Theatre Belgien, Deutschland 2004 – 90min.

Filmkritik

Theaterlebenskünstler

Filmkritik: Eduard Ulrich

1926 in Kiel geboren, 1946 in New York das "Living Theatre" mitbegründet und immer noch auf Achse: Karin Kaper und Dirk Szuszies haben die Gelegenheit ergriffen, Judith Malina, die letzte Zeugin der bewegten Geschichte dieser existentialistischen Truppe, mit der Kamera zu begleiten.

Als Judith Malina, die Tochter eines Kieler Rabbis, Julian Beck in New York kennenlernt, ist es Liebe auf den ersten Blick. Zusammen gründen sie 1946 das "Living Theatre" und machen sich einen Namen in der klassischen Theaterszene. Doch 1964 treiben sie es mit dem Stück "Die Brigg" zu weit, in dem eines der Heiligtümer der US-amerikanischen Gesellschaft vom Sockel gestossen wird: Die Marines.

Die Theatergruppe wird förmlich aus den USA vertrieben und kommt zunächst nach Frankreich, wo sie im turbulenten Jahr 1968 kräftig mitmischt. Anfangs hat sie allerdings dagegen zu kämpfen, dass sie mit den Hippies in einen Topf geworfen wird, weil ihr Kommunenleben und ihre anarchischen Aufführungen Ähnlichkeiten aufweisen. Der fundamentale Unterschied besteht darin, dass sich das "Living Theatre" mit teilweise agitatorischen Methoden bemüht, sein Publikum emotional zu erschüttern und zu politischem Handeln zu bewegen.

Dieser Aspekt kommt sowohl in den Archivaufnahmen als auch in dem Material aus den Jahren 2001 bis 2003, in denen Karin Kaper und Dirk Szuszies die Gruppe begleiteten, gut zum Ausdruck. Szuszies war selbst von 1980 bis 1985 Mitglied und wollte an diese in Vergessenheit geratene, verschworene Gemeinschaft erinnern. Die Atmosphäre der Einheit von Leben und Theater wird gut vermittelt. Sie entschädigt dafür, dass die Organisation oft im Chaos endet und die Finanzen notorisch im roten Bereich liegen. Zu kurz kommt dagegen der Blick in die innere Mechanik dieser Schmiede: Wie werden die Mitglieder unterwiesen, mit welchen handwerklichen Mitteln wird gearbeitet? Die Gespräche mit ehemaligen und aktuellen Mitgliedern lassen nur indirekte Antworten auf diese Fragen zu.

Hoch anrechnen muss man dem Regieduo dagegen, dass es sich nicht um heikle Themata drückt. Der jüdische Co-Leiter darf seine Meinung kundtun, dass die Art, wie der Staat Israel gegründet wurde, ein Fehler gewesen sei. Mit dieser Äusserung stiess der Mann nicht überall auf Gegenliebe: Der Film wurde bereits zu diversen Festivals eingeladen, aber am jüdischen Filmfestival in Warschau zeigten sich israelische Kulturfunktionäre bemüht, dass der Film in Israel nicht gezeigt wird.

01.06.2021

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