Wie im Himmel Schweden 2004 – 131min.

Filmkritik

Mit Musik die Herzen öffnen

Andrea Lüthi
Filmkritik: Andrea Lüthi

Fast 20 Jahre nach seinem letzten Film "Love me!" (1986) meldet sich der schwedische Regisseur Kay Pollak zurück mit einem gefühlvollen Film, der in Schweden zu einem der grössten Kinohits der Gegenwart wurde.

Über Jahre hinaus ist der weltberühmte Dirigent Daniel Dareus (Michael Nyqvist, bekannt als trinkender Vater in "Tillsammans") ausgebucht. Konzert reiht sich an Konzert, hektisch folgt die Kamera ihm, wenn er sich durch die Presseleute drängt, sich völlig verausgabt und nasenblutend ein Konzert zu Ende bringt - bis er eines Tages auf der Bühne zusammenbricht.

Später schweift sein Blick über eine weite, wohltuend stille Schneelandschaft. Daniel ist auf dem Weg zum Dorf seiner Kindheit, wo er sich an das ruhige Leben auf dem Land und ans blosse Hören zu gewöhnen versucht. Doch nicht lange, und er erklärt sich zur Leitung des kleinen, bunt zusammengewürfelten Kirchenchors bereit. Hier glaubt er sich seinem Traum einer Musik, welche die Herzen öffnet, näher als in den eleganten Konzertsälen.

Als Kantor gelingt es ihm tatsächlich, die Chormitglieder aus ihrer Reserve zu locken. Seine neuen Methoden begeistern, und schnell wird er zum Schwarm sämtlicher Sängerinnen. Dies ruft aber auch Eifersüchteleien und gekränkte Gefühle hervor, besonders, als klar wird, dass der melancholische Dirigent der fröhlichen und doch tiefgründigen Lena zugetan ist. Die vorsichtige Annäherung zwischen den beiden vermag - nicht zuletzt dank des äusserst feinfühligen Spiels der beiden Akteure - ganz besonders zu berühren.

Wie so oft im skandinavischen Film brodelt es auch hier gewaltig unter der Oberfläche dieser braven Einwohnergemeinde: Die Pfarrersfrau etwa leidet unter ihrem erzkonservativen Gatten, der beleibte Holmfrid unter dem Spott eines Kollegen und Siv unter ihrer Ehelosigkeit. Hintendurch tuschelt man zwar gerne, vordergründig gibt man sich so, als gingen einen die anderen nichts an - auch Gabriella nicht, die von ihrem Ehemann regelmässig verprügelt wird. Während die Chormitglieder zu spüren und sich für die Musik zu öffnen lernen, wagen sie langsam auch, ihre Gefühle offen zu legen. Es kommt zu Liebeserklärungen, Vorwürfen und Geständnissen, was den Aussenstehenden immer weniger behagt. Als der Pfarrer zu einer Hetze gegen Daniel ansetzt, steigen die Chorleute auf die Barrikaden.

Mit dem Chorwettbewerb in Österreich endet der Film - und enttäuscht nicht mit einer Auflösung, wie man sie aus Filmen mit ähnlicher Thematik kennt. Überhaupt laufen gängige Erwartungen an eine Szene wiederholt ins Leere, etwa wenn die misshandelte Gabriella mit kraftvoller Stimme ein eigens für sie geschriebenes Solo vorträgt und sich auch ihr brutaler Ehemann im Publikum befindet. Pollak versteht es ausgezeichnet, Rührung zu erzeugen, und obwohl er sich wiederholt der Grenze des Kitsches nähert, bleibt er stets auf dem Boden. Seine Figuren stattet er mit einer gehörigen Portion Realismus aus und lässt sie natürlich handeln. Dabei sind auch kritische Töne zu vernehmen, etwa was die Zivilcourage, die Integration von Behinderten oder das sture Einhalten von kirchlichen Dogmen oder dörflichen Gepflogenheiten angeht. Damit mag der Film denn auch verstanden werden als Plädoyer für den Gebrauch des gesunden Menschenverstands und für das Hören auf die eigenen Gefühle.

10.11.2020

4

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Kommentare

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movie world filip

vor 12 Jahren

sehr charmantes drama - wer musik und drama liebt, nicht zu verpassen


raffi44

vor 16 Jahren

ich fand den Film genügend.


alpha

vor 17 Jahren

Dieser Film ist einzigartig in seiner Art! Es gibt immer mehrere Wahrheiten im Leben was in diesem Streifen hervorragend verkörpert wird. Aufgrund des individuellen Empfindens ist die Filmkritik mehrseitig zu betrachtet. Dieser Film hat mich berührt und mir den Anlass gegeben Gedanken über die Story zu machen.
Der Film bleibt während der Handlung im geschehen. Es geht vorrangig um die Menschen die in diesem Dorf leben. Der berühmten Dirigent und Musiker „ Daniel“, der aus beruflichem Stress gesundheitlich angeschlagen ist und daher nicht mehr arbeitet, entschliesst sich den Kirchenchor zu leiten und ihn aufzubauen. Der professionelle Dirigent fördert durch die Musik und seine art den Chor zu betreuen einen enormen Zusammenhalt bei den Chormitgliedern. Diese gemeinschaftliche Stärke und Liebe löst in einigen Nichtmitgliedern wie z. B. beim Pfarrer Missgunst aus. Gleichzeitig werden andere Nichtmitglieder von der himmlischen Musik zum Einstieg in den Chor begeistert. Mitten im Film gibt es einen Chorauftritt bei dem ein Lied gesungen wird. Durch den schönen Song und die Vorgeschichte bis zum Auftritt, geht dieses Ereignis unter die Haut des Filmzuschauers. Genau mit dieser emotionalen und hochwertigen Dynamik durch Geschichte und Ereignis erreicht dieser Film einen sehr hohen Grad an Extraklasse.
Es gibt ein paar Szenen im Film die durch kleine Änderungen besser gewirkt hätten und das bisschen Kitsch wäre grandios verschwunden. Der Schluss ist von der Handlung her etwas abgedroschen und vielleicht auch banal aber durchaus möglich. Ein stabileres Ende (Ereignis) hätte dem Film aufgrund der grossartigen Geschichte weitaus mehr Glanz und Wert verschafft. Vielleicht sogar einen Welthit hervorgerufen.
StefanMehr anzeigen


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