Casa de Areia - The House of Sand Brasilien 2005 – 115min.
Filmkritik
Schöne Sanduhr
Andrucha Waddington, Regisseur des brasilianischen Exportschlagers «Eu, tu, eles», liefert nach fünf Jahren Bedenkzeit und zwei Dokumentarfilmprojekten endlich einen neuen Spielfilm nach. Sein neuester Wurf gibt sich bildgewaltig, wortkarg, existenzialistisch. Und enttäuscht dennoch. Denn weder gelingt es der episch angelegten Story noch den beiden hervorragenden Hauptdarstellerinnen, Waddingtons prätentiös inszenierter Meditation über die Vergänglichkeit des Lebens hinreichenden Tiefsinn zu verleihen.
Launisch wie sie ist, hat die Natur ganz im Norden Brasiliens und in nächster Nähe zum amazonischen Regenwald einer atemberaubenden Wüstenlandschaft Raum gelassen. In dieser unwirtlichen Gegend, im kargen Nirgendwo zwischen Wanderdünen und ausgetrockneten Lagunen, hat Vasco de Sá (Ruy Guerra), ergrauter und bankrotter Grossbürger aus Rio de Janeiro, ein Stück Land gekauft. Hier, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, unter der stahlblauen Weite des Wüstenhimmels und auf der Unbeständigkeit des Sandes, will er nochmals von vorne anfangen, ein Haus bauen, ein Kind aufziehen. Er stirbt jedoch und hinterlässt seiner schwangeren Ehefrau Áureo (Fernanda Torres) und deren alter Mutter Maria (Fernanda Montenegro) nicht viel mehr als ein löchriges Etwas von einem Haus, gebaut auf dem lockeren Fundament einer Sanddüne.
Mutter und Tochter bleibt fortan nichts anderes übrig, als in dieser Einöde ums Überleben zu kämpfen. Und zu warten. Warten darauf, dass Áureos Kind Maria (Camilla Facundes) gross genug ist, diesem gottverlassenen Ort zu entfliehen. Warten darauf, dass der Salzhändler Chico (Emiliano Queiroz) sie in die Zivilisation zurückführt, und wenn nicht er, so vielleicht die Gruppe von Wissenschaftlern, die eine Sonnenfinsternis beobachten will. Die Wartezeit dehnt sich schliesslich auf neunundfünfzig Jahre aus, freundschaftlich begleitet von Massu (Seu Jorge) aus der nahen Siedlung der entlaufenen Sklaven, wiederkehrend unterbrochen von eintreffenden Kriegsflugzeugen oder astronomischen Ereignissen, welche historische Wendepunkte in der Geschichte der Menschheit markieren sollen. Und so wie die Zeit die Physiognomie der Frauen verändert, die Mutter zur Grossmutter und die Tochter zur Mutter macht, transformiert sich auch deren Sehnsucht, der Wüste zu entfliehen. Zuletzt ist es nur noch die Enkelin, der es nach der grossen, weiten Welt dürstet und die alles dafür geben würde, dorthin zu gelangen.
In ästhetischer Hinsicht überzeugt «The House of Sand» zweifelsohne. Gekonnt photographiert Waddington die Wüste im Cinemascope-Format als grandios-archaische Landschaft, als Ort ausserhalb aller Orte, an dem nichts anderes mehr zu existieren scheint, als der stetige Lauf des Sandes und der Zeit. Diese anspruchsvoll inszenierte Allegorie wiederum wird von den beiden Protagonistinnen (übrigens auch im wirklichen Leben Mutter und Tochter) überraschend virtuos bewältigt. Aber trotz oder gerade aufgrund seiner visuellen Makellosigkeit scheitert der Film auf hohem Niveau. Es scheint, als ob die existenzphilosophische Ebene, welche Waddington fraglos vorgeschwebt hat, der visuellen Überästhetisierung und einigen oberflächlichen, esoterischen Zwischentönen zum Opfer gefallen ist. Optisch zwar gelungen, bleibt der Film pseudophilosophischer Hochglanz, dem man leider allzu schnell überdrüssig wird.
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