Filmkritik
Die Lebenden und die Toten
Seit zehn Jahren dokumentiert Sainap Gaschaiewa, genannt «Coca - die Taube», zusammen mit anderen Frauen den Terror in ihrer Heimat Tschetschenien. Der Schweizer Filmer Eric Bergkraut zeigt ihre Arbeit und ihr Engagement in seinem pro-tschetschenischen Dokumentarfilm «Coca - Die Taube aus Tschetschenien».
Tschetschenien - ein Land mit ursprünglich einer Million Einwohner, überwiegend Muslime - erklärte 1991 seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion. 1994 marschierten russische Truppen ein und besetzten die ehemalige Teilrepublik. Der Krieg endete 1996 mit einem Friedensabkommen, doch die Auseinandersetzungen gehen seit 1999 weiter. Die Guerillakrieger und -kriegerinnen attackieren die russische Besatzungsmacht und haben ihren Krieg auch nach Moskau (Bombenanschläge, Geiselnahme im Musicaltheater) und Beslan (Terrorakt in der Schule) getragen. Das hat Tschetschenien im Westen ein schlechtes Image eingebracht, und dem russischen Präsident Wladimir Putin in die Hand gespielt. Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung setzt er seine harte Linie fort - ohne Aussicht auf eine friedliche Lösung.
Von den Attentaten der TerroristInnen ist im Dokumentarfilm «Coca - Die Taube aus Tschetschenien» von Eric Bergkraut freilich nicht die Rede. Ein Manko. Es geht dem Filmer vor allem um beherzte Frauen wie Sainap Gaschaiewa, genannt «Coca, die Taube», die zusammen mit anderen Gesinnungsgenossinnen einen «vergessenen Krieg» der Russen gegen die tschetschenische Zivilbevölkerung anhand von unzähligen Videokassetten dokumentiert - mutig (teilweise unter Lebensgefahr), beharrlich und beherzt. Die Bilder zeigen ermordete Frauen, Männer, Kinder, Hinterbliebene, Verfolgte, Verschwundene und beschreiben den friedlichen Kampf der Frauen gegen das Vergessen. Der Film plädiert für die Bestrafung der Besatzungstäter und für Menschenrechte.
«Coca», Leiterin der Organisation «Echo of War», strebt ein Tribunal in Strassburg an. Hass lehnt sie ab. Sie lebt teilweise in Moskau und hat vier Kinder gross gezogen (eines lebt im schweizerischen Kölliken). Sie wurde zur Chronistin des Krieges in ihrer Heimat. Sie ist der Leitfaden im Film swa Schweizers Eric Bergkraut. Der hat sich förmlich in den Dienst dieser Friedensbewegung gestellt und montierte erschütternde Bilder zwischen die Gespräche mit Betroffenen. Grosse politische Fragen hat er bewusst ausgeklammert.
So entsteht ein etwas einseitiges Bild, das sich auf die tschetschenischen Opfer konzentriert. Mancher Zuschauer wird Mühe haben, der sprunghaften Dramaturgie zu folgen. Schauplätze und Zeiten wechseln abrupt. Das Plädoyer für ein verfolgtes Volk (man spricht von über 200'000 Toten seit 1999), gegen Terror und Verletzung der Menschenrechte zersplittert, franst aus. Die Absichten sind edel, die Bilder und Aussagen geben zu denken. Allein: Die couragierte Arbeit hat nur das Format und die Qualität einer guten TV-Dokumentation.
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