Dunia Ägypten 2005 – 112min.

Filmkritik

Sinne und Sinnlichkeit

Beatrice Minger
Filmkritik: Beatrice Minger

Die libanesische Filmemacherin beweist Mut und Zivilcourage mit ihrem Film über eine junge Frau in Kairo, die sich auf die Suche nach ihrer Sinnlichkeit macht.

"Die Beschneidung ist der Ausgangspunkt meines Themas in der Suche nach sich selbst" sagt die libanesische Filmemacherin Jocelyn Saab über ihren Film Dunia. Beschneidung ist in doppeltem Sinn zu verstehen. Gemeint ist nicht nur körperliche Verletzung, die laut Amnesty International für 97% der Frauen in Ägypten noch immer schmerzhafte Realität ist, obwohl sie seit 1997 per Gesetz verboten wurde. Beschnitten werden die Frauen im arabischen Raum auch in ihrer Weiblichkeit.

Für Dunia (Hanan Turk) wird diese doppelte Verletzung zum Ausgangspunkt und zur treibenden Kraft auf der Suche nach Liebe, Sinnlichkeit und Freiheit - und auf der Suche nach sich selbst. Nach dem Abschluss ihres Literaturstudiums will Dunia Tänzerin werden, wie es einst ihre Mutter war. Ihre Suche führt sie zunächst über die starken Frauenfiguren in ihrer Nähe. Durch den Schriftsteller Beshir (Mohamed Mounier - einer der populärsten und erfolgreichsten Sänger und Schauspieler der arabischen Welt) wird sie ausserdem in die Welt der arabischen Poesie und Musik eingeführt. Doch erst die überstürzte Heirat eines Verehrers und die Beschneidung ihrer Cousine geben ihr die nötige Kraft, sich den eigenen Tabus und den Tabus der islamischen Gesellschaft kompromisslos zu stellen.

Auf Dunias Suche nach Sinnlichkeit erlebt der Zuschauer im Film selbst ein Fest der Sinne. Jocelyn Saab macht nicht nur auf die Einschränkungen der arabischen Frau aufmerksam, sondern stellt dieser gleichzeitig die melancholische Sinnlichkeit der jahrtausendalten orientalischen Kultur entgegen. Sie wird spürbar gemacht mit Darstellung der Körperlichkeit der Bauchtänzerinnen, den Parfumhändlern auf der Strasse und nicht zuletzt mit der Figur des Schriftstellers Beshir, der erblindet und lernen muss, von seinem Tast- und Geruchssinn Gebrauch zu machen.

Der Film sollte ursprünglich der ägyptischen Zensur zum Opfer fallen. Doch dank internationalen Protesten gab Präsident Hosni Mubarak persönlich den Film frei. Das Werk löste bei seiner Premiere am internationalen Filmfestival Kairo heftige Kontroversen aus. Diese Umstände machen deutlich, wie hochaktuell und wichtig der Film für die arabische, jedoch auch für die westliche Welt ist.

01.12.2020

3

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Kommentare

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pinzon

vor 17 Jahren

Die schöne Dunia meldet sich in Kairo zu einem Tanzwettbewerb an, sie möchte wie ihre verstorbene Mutter eine berühmte Bauchtänzerin werden. Sie studiert an der Uni arabische Literatur und möchte hier die Sinnlichkeit erforschen, wie sie in „ Geschichten aus 1001 Nacht“ und im Sufismus Tradition haben. Doch Fundamentalisten verlangen die Schließung jenes Verlages, welcher dieses „ schmutzige und gottlose“ Buch noch heute herausgibt. Ihr Professor, der Schriftsteller Beshir, verteidigt öffentlich die Pressefreiheit, wird überfallen und verliert dabei das Augenlicht.
Doch Dunia kann sich der Sinnlichkeit und Erotik, der Suche nach der Liebe, nur im Kopfe widmen, unten bleibt sie kalt, weil sie als Kind beschnitten wurde. Selbst als sie heiratet, spielt sie zwar mit ihrem Gatten, lässt ihn aber selbst in der Hochzeitnacht „ im eigenen Safte schmoren“ und verweigert sich im sexuell weiterhin.

Das sehr ernste Thema der weiblichen Genitalverstümmelung, in Afrika ein weit verbreitetes Problem, wird leider dramaturgisch von der aus dem Libanon stammenden Regisseurin völlig unzureichend angegangen. So erschöpft sich der Film auf die Selbstdarstellung Dunias, ohne dass der Zuschauer eine Entwicklung erkennen kann, weder im Tanze noch in der Beziehung zu ihrem Freund und späteren Mann. Auch Beshir, der nach dem Überfall eine Blindenschulung über sich ergehen lassen muss, weist keine Narben im Gesicht auf. Auch erfährt man keine zusammenhängenden Zitate aus den berühmten „ Geschichten aus 1001 Nacht“, auch hier geht der Film nicht in die Tiefe.
Einzige spannende und berührende Szene bleibt die Beschneidung eines jungen Nachbarmädchens, die sie nicht verhindern kann. Selbst die Bauchtanz-Musik erschien mir zu techno-artig, um diesem an sich klassischen Thema zu entsprechen; letztlich war auch die Kamera und Farbgestaltung mangelhaft, ausgefressene weiße Stellen und flauer Kontrast und Farbtiefe wirkten dilletantisch. Insgesamt ein enttäuschender neuer trigon-Film im Verleih des kleinen cinematograph Filmverleihes.
Der Film sollte ursprünglich der ägyptischen Zensur zum Opfer fallen. Doch dank internationalen Protesten gab Präsident Hosni Mubarak persönlich den Film frei. Das Werk löste bei seiner Premiere am internationalen Filmfestival Kairo heftige Kontroversen aus.
Was offenbar auf dem islamischen Markt gewagt sein mag, wirkt für aufgeklärte westliche Zuseher fast infantil und bekräftigt eher Vorurteile, als sie zu entkräften.Mehr anzeigen


ulrice

vor 17 Jahren

mein Lieblingsfilm, ein unglaublich guter Film über Sufismus und den Weg einer frau zu Selbstbestimmung und innerer Freiheit. Auch wem die genial unterlegten wundervollen Zitate aus der islamischen Mystik nichts sagen, wird dennoch dieses orgiastische Meisterwerk von Musik, Energie, Tanz und Farben geniessen. Der trigon Filmverleih bleibt seiner Klasse treu.Mehr anzeigen


Klaus1108

vor 17 Jahren

Ein sinnlicher und bunter Film. Der innere Weg der bezaubernden Hauptdarstellerin Dunia wird anschaulich gezeigt, wobei zum Glück nicht alle Geheimnisse schon zu Beginn verraten werden. Auch die Person des Schriftstellers, welcher für Dunia ein Wegbereiter ist, vermag zu überzeugen. Sehenswert.Mehr anzeigen


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