Gespenster Deutschland 2005 – 85min.

Filmkritik

Eine innere Unsicherheit

Filmkritik: Pascal Blum

Christian Petzolds stilles Drama um drei entwurzelte Frauen beinhaltet Szenen, die die Geduld des Zuschauers strapazieren und die Frage aufwerfen, ab wann Fernsehen Kino sein darf. Doch Julia Hummer und die Schweizerin Sabine Timoteo machen aus "Gespenster" eine rätselhafte, eindringliche Berlin-Miniatur.

Christian Petzold ist ein Stilist. Er filmt keine Anschlüsse, sondern springt von Kulisse zu Kulisse; die Biographien der Hauptdarstellerinnen werden nicht einmal annäherungsweise skizziert. Was man sieht: Nina (wie immer toll: Julia Hummer) lebt im betreuten Wohnheim und schaufelt im Berliner Tiergarten den Müll zusammen. Toni (Sabine Timoteo), die rastlose Diebin, die sich Schmuck und den Tag klaut, freundet sich mit ihr an, sie verbringen gemeinsam einige schöne Stunden und verlieben sich ineinander - auf eine Art.

Im zweiten Erzählstrang sucht Françoise (Marianne Basler), begleitet von ihrem Mann Pierre (Aurélien Recoing), in Berlin nach ihrer entführten Tochter, die sie in Nina wiederzuerkennen glaubt. Toni missbraucht derweil Nina für das Casting des Films "Freundinnen", wo man zu zweit erscheinen muss.

Soweit die Geschichte. Die drei weiblichen Hauptfiguren in "Gespenster" sind, wie schon in Petzolds RAF-Parabel "Die innere Sicherheit", auf der Suche nach einer Identität, um ihr unbehaustes Durchgangsdasein abzuschütteln. Unheimlich ist dabei gerade die Art, wie Petzold seine verletzlichen Figuren von der ersten Minute an in eine Gespensterzone versetzt: Die drei haben keine soziale Definition, nichts gibt irgendeinen Hinweis darauf, wie man die Frauen einordnen könnte. Und in der Sehnsucht und der Suche nach dem Kontakt mit dem richtigen Leben geraten die titelgebenden Gestalten eben erst recht in den Strudel des Mysteriösen.

Inszeniert ist das als schwereloses Grossstadt-Drama, in dem selbst der Potsdamer Platz nicht so aussieht wie man ihn hässlich in Erinnerung hat und sogar die konturlosen neuen Berliner-Mitte-Bauten eine Identität zu haben scheinen. Petzold hat "Gespenster" vor dem Hintergrund von Rainald Goetz' "Rave"-Buch geschrieben; ein Roman, in dem die Figuren ähnlich unmittelbar wirken, die Biographien ebenfalls gesichtlsos sind und die Geschichte auch im Vorbeigehen erzählt wird.

Im Gegensatz zu "Die innere Sicherheit" gibt sich "Gespenster" vordergründig apolitisch, obwohl sich die beliebte Gespenster-Parabel nicht erst seit dem Zombie-Regisseur Romero auf alle anwenden lässt, die irgendwo in einem Zwischenstadium schweben: Arbeitslose, Migranten, Häftlinge, Suchende. Der Film zeichnet sich allerdings nicht nur im metaphorischen Sinn durch seine Undeutlichkeit aus, sondern stiftet auch auf Rezeptionsebene Verwirrung: Es ist dermassen wenig vorgegebenen, dass jeder darin einen anderen Film sehen kann.

25.01.2021

4

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