Filmkritik
Das Leben geht weiter in Kargistan
In seiner ersten langen Regiearbeit gibt uns der Kirgise Ernest Abdyjaparov Einblick in das karge Leben in seiner postsowjetischen Heimat.
"Saratan" spielt während des Sommermonats Saratan in einem kleinen kirgisischen Bergdorf. Die Hitze ist drückend und lähmt die Bewohner, die sich mit den Problemen der neuen Epoche herumschlagen müssen. Die Renten werden nicht bezahlt (früher war Moskau dafür verantwortlich), es fehlt der Treibstoff um mit dem Traktor (weiteres Sowjetsymbol) den Acker zu pflügen, kein Geld für Alkohol ist da und Schafe werden gestohlen.
Bei aller Misere kann diese zuweilen burleske Parabel dennoch eine positive Grundstimmung verbreiten. Dies gelingt durch einen feinen Humor, der sich der Absurditäten des Alltags annimmt, und starke, typisierte Figuren bereit hält: Der Dorfverwalter, der keinen Lohn erhält und für alle Probleme herhalten muss. Der Dorfpolizist, der ebenso hinter Dieben wie Frauen her ist. Die drei Clochards, die ihre Weisheit in Trinksprüchen verkünden und einen alten Kameraden nötigen. Der Neureiche, der auf Kosten der Bürger spekuliert. Der Schafdieb, der sein Diebesgut unter seiner Bettdecke versteckt. Der Zeuge Jehovas mit dem klangvollen Namen Sozialbek, der im Gefängnis dem aufwieglerischen Kommunisten eine Predigt hält. Der Mullah, der sein Morgengebet verschläft. Bei dieser Aufzählung fehlen die Frauen. Leider bietet ihnen "Saratan" keine starken Rollen.
Gewichtige Themen wie Vergewaltigung und Selbstmord werden in Nebensätzen angeschnitten und weder dramatisch ausgeschlachtet noch verharmlost. In dieser Balance liegt eine der Stärken des Films. Trotz der Überzeichnung und Typisierung der Figuren bekommt man das Gefühl, einen exakten Einblick in diese Gesellschaft, die zwischen lähmender Sowjetnostalgie und Aufbruchswille oszilliert, zu bekommen. Ernest Abdyjaparov macht die menschlichen Makel sichtbar ohne sie, wie es im Film mit dem Schafdieb geschieht, anzuprangern. Anders als bei Filmen wie "Luna Papa", "27 Missing Kisses" oder "Vodka Lemon", die im Fahrwasser von Emir Kusturicas prallen Burlesken schwammen, biedert sich "Saratan" kaum an den Geschmack eines westlichen Publikums an.
Rein statistisch ist der kirgisische (und zentralasiatische) Film bei uns in den letzten Jahren extrem übervertreten. In Kirgisistan sank seit der Wende die Spielfilmproduktion unter einen Film pro Jahr. Trotzdem haben einige dieser wenigen Filme den Weg in den Westen und in die Schweiz gefunden. Man denke an "Beshkempir" (1998) von Aktan Abdykalykov, eine poetische Annäherung ans Erwachsenwerden. "Saratan" ist ein weiteres geglücktes Beispiel dieser so genannten zentralasiatischen Nouvelle Vague, von der wir in den nächsten Jahren hoffentlich noch mehr Zeugnisse erhalten werden.
Dein Film-Rating
Kommentare
interessant, lustig und man lernt einiges über ein relativ unbekanntes Land kennen!
Saratan zeigt das Dorfleben in einer ehemaligen Sowjetrepublik mit all seinen guten und weniger guten Seiten, mit viel Feingefühl und Sympathie für die Dorfbevölkerung und für deren Sorgen und Nöte. Unbedingt sehenswert! Einziger Kritikpunkt: Das Bild war etwas unscharf. Lag es an der Vorführungstechnik im Kino?… Mehr anzeigen
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