CH.FILM

Snow White Österreich, Schweiz 2005 – 113min.

Filmkritik

Nico & der welsche Untergrund

Filmkritik: Pascal Blum

Von Samirs neuem Drama hätte man ein Generationenporträt erwartet, das die Befindlichkeit der jugendlichen Lebenswelten auf die grosse Leinwand bringt. In Wahrheit verklärt «Snow White» soziale Klischees eher, als dass es sie hinterfragt.

Nico (Julie Fournier) lebt wohlbehütet am Zürcher Goldhang und zelebriert die von Regisseur Samir punktgenau bei den MTV-Clips abgeschaute Hedonisten-Ästhetik mit Kokain am Villa-Pool bis zum Exzess. Ihre zuhälterische Beziehung zum Clubbetreiber Boris (Stefan Gubser als prima Sugar Daddy) nimmt ein abruptes Ende, nachdem sich die 20-jährige in den Genfer Rapper Paco (Carlos Leal von Sens Unik) verliebt, der an seinem Erfolg leidet, weil seine sozialkritischen Songs in jedem Supermarkt gespielt werden. In Paco sieht Nico den Eisbrecher zu ihrer Oberflächlichkeit und die Figuren für ein märchenhaftes Melodrama sind gesetzt.

Formal brilliert Samir mit seiner hinlänglich bekannten Mix-Technik aus 35mm, Homevideo-Bildern und Split-Screens, die bei «Snow White» auf die Spitze getrieben wird: Flüssig ineinander montiert, vermag die kaleidoskopische Bildtechnik die Gefühlszustände der beiden Hauptfiguren präzise zu vermitteln.

Um Pacos Zuneigung zu gewinnen, verbirgt Nico zu Beginn ihren Status. Es gehört zum Menü des Melodramas, dass ein solches Versteckspiel auf die Dauer nicht gut gehen kann und bald darauf kommt es zum Eklat. Grandios an «Snow White» sind die Details: Der offensichtlich dem Kaufleuten nachempfundene Zürcher Club oder der sorgfältig recherchierte Umgang von Goldküsten-Jugendlichen miteinander. Carlos Leal kann restlos als kämpferischer Rapper überzeugen, während der aus der Romandie stammenden Julie Fournier die schweizerdeutschen Dialogpassagen synchronisiert wurden, was leider sofort störend wirkt. Der Nebenauftritt von Patrick Rapold als Bündner Banker mit Realitätsverlust gehört dann schon eher in die Kategorie der unvergesslichen Filmszenen.

«Snow White» wurde von den Deutschweizer Medien unisono lobend aufgenommen, was mit Lokalpatriotismus oder mit PR-Deals zu tun haben wird. In Wahrheit klimpert Samir ganz schön klischiert auf der Klaviatur des Melodramas und lässt die beiden Hauptfiguren in ein märchenhaft verschleiertes Ending hineinlaufen, das sich schlicht aus der Rezeptur gängiger Storylines ergibt. Hier wird der titelgebende Kalauer aus dem Übernamen für Kokain und der Schneewitchen-Fabel etwas arg strapaziert.

Die beiden unterschiedlichen Milieus der Hauptdarsteller werden zudem als ein im Prinzip anachronistischer Klassenkampf inszeniert, der die beiden Lebenswelten Goldküste vs. Rapper-Genf als völlig gegensätzliche Milieus missbraucht, um daraus die dramatische Figuren-Entwicklung Nicos zu destillieren. Wer heutzutage gesellschaftskritischen Rap hört, geht nun aber trotzdem am nächsten Abend ins Kaufleuten. Mit dieser Komplexität wird Samir nicht fertig und im Verlauf des Films wird der soziale Hintergrund der Hauptcharaktere immer mehr zur reinen Staffage für die - sehr gelungene - Kino-Dramatisierung.

18.05.2021

3

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Kommentare

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Patrick

vor 10 Jahren

Starkes Drogen/Liebes Drama mit Carlos Leal (Der Bestatter), Pascal Ulli (Der Goalie bin ig) und Stefan Gubser(Tatort), der Film kommt zeitweise wie Die Kinder vom Bahnhofszoo daher und da geht der Film voll unter die Haut. Zum Schluss versprüht der Film aber wieder Hoffnung.


1aschi

vor 12 Jahren

aussergewöhnlicher, starker und aufwühlender film.


Gelöschter Nutzer

vor 17 Jahren

Gute Schauspieler, leider wurde aber die Handlung zu klischeehaft umgesetzt.


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