Absolute Wilson Deutschland, USA 2006 – 105min.

Filmkritik

Menschenfreundlicher Kunstvulkan

Filmkritik: Eduard Ulrich

Während die Verbreitung seiner Inszenierungen auf den Bühnen in aller Welt, auch auf derjenigen des Zürcher Opernhauses, nahezu epidemische Ausmasse erreichte, war über den Künstler Robert Wilson wenig bekannt. Diesem Missstand hat Katharina Otto-Bernstein mit ihrem rundum gelungenen Dokumentarfilm endlich abgeholfen.

Der Filmtitel verspricht nicht zuviel: Robert Wilson hat wie kaum ein Zweiter die Ästhetik moderner Opern- und Theaterinszenierungen revolutioniert, neue künstlerische Formen erprobt und die Grenzen dessen erweitert, was und wen man auf einer Bühne zeigen kann. Fünf Jahre lang begleitete die in New York lebende Dokumentarfilmerin den reisefreudigen Wilson bei seiner Arbeit und lud bekannte Künstler wie beispielsweise den Komponisten Philip Glass, aber auch Angehörige und Auftraggeber ein, von ihren Erlebnissen mit Person und Werk zu berichten. Da kommt viel Merkwürdiges und Skurriles, aber vor allem Erhellendes zum Vorschein.

Besonders die Geschichten aus seiner schwierigen Kindheit und Jugend in dem erzkonservativen, rassistischen Texas lassen einen verstehen, dass es für Wilson eigentlich nur zwei Alternativen gab: Selbstmord oder Revolution. Als ob seine gebremste Entwicklung in Kindheit und Jugend einen Stau verursacht hätte, der sich zu einem unerschöpflichen Reservoir an Schwung und Ideen verdichtete, bevor sich dieses in künstlerischen Höchstleistungen entlud, setzte sein Erfolg relativ spät ein. Dabei ging er schon früh radikal neue Wege, indem er gesellschaftlich an den Rand Gedrängte und Beschädigte ins Zentrum seiner Arbeit rückte und ihnen eine Rolle und eine Stimme verlieh.

Aber auch seine stupende Intelligenz und Menschlichkeit kommen in einigen Geschichten zum Ausdruck, wenn er, beispielsweise, einen gehörlosen, schwarzen Jugendlichen aus den Fängen von Polizei und Behörden rettet und ihm eine menschliche Existenz ermöglicht. Natürlich gab es auch gigantische Fehlschläge, aber insgesamt vermittelt uns das Porträit einen höchst erfolgreichen und sympathischen Künstler, dessen Werke direkt mit persönlichen Erfahrungen verbunden sind, der mit 65 Jahren wie 45 wirkt und immer noch pausenlos arbeitet: Reisen und Kunst halten offenbar jung.

Dass wenig von den Werken zu sehen ist, ist nur logisch, denn der Zauber seiner Arbeiten benötigt ein passendes Umfeld, Zeit und Ruhe, um sich zu entfalten. So richtet sich der Film zwar vorwiegend an Kenner, macht andere aber hoffentlich auf Wilsons einzigartige Inszenierungen neugierig. Angesichts der Bedeutung seines Schaffens kann man es wohl verschmerzen, dass seine Produktionen inzwischen generalstabsmässig geplant und industriell gefertigt werden und dass dieser Aspekt im Film mit keiner Silbe erwähnt wurde.

17.02.2021

4.5

Dein Film-Rating

Kommentare

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung

Mehr Filmkritiken

Gladiator II

Red One - Alarmstufe Weihnachten

Venom: The Last Dance

Typisch Emil