Filmkritik
Cliffhanging Fudibrätsch
Drei Jahre lang driftete der französisch-schweizerische Filmemacher Raphael Sibilla mit seiner Filmkamera durch die Welt und traf dabei auf Menschen für die Lust und Schmerz untrennbar zusammengehören. Das so gesammelte Bildmaterial aus S/M-Clubs, Tattoo-Studios und anderen gleichgesinnten Szenen hat Sibillia nun zu einer halb spekulativen, halb informativen Sex, Tattoo & Rock'n'Pain-Show montiert.
Ist es tatsächlich so, wie Kulturpessimisten gern behaupten, dass die sadomasochistische Lust am Schmerz das Produkt der Moderne und damit etwas relativ Neues ist? Wer könnte das besser beantworten als Matty Jankowski, der Gründer des New Yorker Körper-Archivs. Der bestätigt dem Filmemacher Raphael Sibilla, dass sich die Menschen zwecks sexueller Erregung immer schon gegenseitig Schmerzen zugefügt haben. Doch wen interessiert die Vergangenheit wenn man jede Menge aktuelle und exibitionistisch veranlagte Schmerzfreaks zur Hand hat? Jankowski ist nicht nur Archivar sondern auch ein kundiger Führer durch die zeitgenössischen Underground-Szenen jener Menschen, die das rituelle Zufügen oder Erleiden von Schmerzen mit grossem Engagement betreiben. Seine Erklärungen ziehen sich denn auch wie ein roter Faden durch Sibillas Dokumentarfilm «No Body is Perfect».
Gleich zu Beginn führt Sibillia in exotischer Inselabgeschiedenheit in einen Swinger-Club. Foltertätigkeiten sind keine zu verzeichnen, obwohl der Filmemacher auch schon mal Tierdokufilm-mässig mit Infrarotlicht in die Darkrooms zündet. Schmerzhaft für den Betrachter ist allenfalls die entsetzliche Biederkeit der Paare, die sich hier übers Kreuz vögeln und dann von «ausgelebten Fantasien» faseln. In den USA besucht Sibillia später Franks «Castle Waterloo», wo zwar das Rauchen und Saufen verboten, sonst aber Köperfunktionen frei getestet werden dürfen. Klingt nicht gerade besonders krass, weshalb sich unser Globetrotter in Sachen S/M nach Paris verdrückt und dort auf Rudy trifft. Der lenkt eine Strech-Limo durch die nächtlichen Strassen während hinter ihm im Passagierraum sexuell aktive Grossstädter einmal mehr «ihre Fantasien ausleben».
Über Körperschmerz und Körperlust haben wir bis dahin noch wenig erfahren, weshalb sich Sibilla nach Tokyo aufmacht. Japaner sind in dieser Hinsicht ja bekanntlich experimentierfreudig. In Tsuzukis lustigem Club ist - ausser Geschlechtsverkehr - vieles möglich. Ein nachgebauter U-Bahn-Wagen erlaubt es dem gestressten Geschäftsmann der als Studentin verkleideten Animierdame endlich einmal unter die Schuluniform zu greifen. Anschliessend setzts cliffhanging Fudibrätsch. Später wird verschnürt, gebunden und heisser Wachs über Nippel geträufelt; das ganze Programm. Lustig ist in erster Linie die Menükarte die der Filmemacher am Eingang in die Hände gedrückt bekommt und nach der er seine favorisierte Perversion auswählen kann. Die erhellende Erkenntnis: Für die Japaner ist S&M «leichte Unterhaltung», während im Westen solche Dinge viel ernster genommen werden.
Weiter hetzen wir über den Globus um vor Ort von Transsexuellen ihre Träume, Wünsche und Probleme geschildert zu bekommen. Deren «Dick Dramas» nehmen sich neben die Spezialität jener Domina gestellt, die ihre «Sklaven» die Räume putzen lässt, um die Herren dann zum Dank vollzupissen, relativ bieder aus. Noch später werden wir Zeuge wie sich Leute Metallteile unter die Haut schieben, Bilder in die Haut schneiden und sich zwecks Luststeigerung den Penis operativ aufschlitzen lassen. Im Fetischclub Tortur Garden werden gleichzeitig wilde Partys gefeiert, bei welchen sich mehrere Typen Haken durchs Schulterfleisch stechen und daran aufgehängt durch die Luft schwingen.
Für die Konsumenten einschlägiger Sex-Reports, so wie sie täglich über die Kanäle des Unterschichtenfernsehens flimmern, hält «No Body is Perfect» nicht viel Neues bereit. Zwar geht Sibilla expliziter zur Sache, aber ob damit die spekulative Schau-Lust tatsächlich auch befriedigt wird, kann bezweifelt werden. Aber auch für szenenhistorisch Interessierte ist das ganze Tamtam nicht besonders ergiebig. Stilmässig geht Sibilla kaum über den gängigen Reportageschmus hinaus und die als Vertiefung gedachten Kommentare Jankowskis bleiben isolierte Glanzlichter, deren Radikalität das Bildmaterial kaum je gerecht wird.
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