Privatbesitz Belgien, Frankreich, Luxemburg 2006 – 95min.

Filmkritik

Erstarrung und Entfesselung

Andrea Lüthi
Filmkritik: Andrea Lüthi

Mutter und Söhne streiten sich, sie können sich aber dennoch nicht voneinander lösen. Der Film des belgischen Regisseurs Joachim Lafosse ist inhaltlich wie künstlerisch grossartig durchkomponiert.

Pascale (Isabelle Huppert) lebt mit ihren Söhnen Thierry (Jérémie Rénier) und François (Yannick Rénier) in einem alten Bauernhaus. Im Grunde wären die Zwillinge alt genug, um selber für sich zu sorgen. Doch Pascale kümmert sich um den ganzen Haushalt, während sich die Söhne mit Playstation und Tischtennis vergnügen. Die beiden stehen sich sehr nahe und stecken fast ständig zusammen - obgleich sie gänzlich unterschiedlich sind: Der sanfte François hängt mit zärtlichen Gefühlen an seiner Mutter. Thierry dagegen spottet, wo er nur kann, und Pascale muss sich auch schon anhören, dass sie im neuen Nachthemd wie eine Hure aussehe.

Aus scheinbar im Scherz geäusserten Sticheleien wird zunehmend unverhohlene Aggression. Unterschiedliche Emotionen lösen einander ab und prallen aufeinander - besonders, wenn die drei eng beieinander sitzen: Zuneigung, Misstrauen und Eifersucht, Unsicherheit oder Angst, übergangen zu werden; Angst aber auch vor Veränderungen und davor, den Problemen ins Gesicht zu sehen. Selbst wenn Thierry Pascale vorwirft, das Geld für Luxusprodukte anstatt für ihre Söhne auszugeben, lässt sie alles über sich ergehen. Insgeheim aber träumt sie von einem eigenen Restaurant gemeinsam mit ihrem Geliebten, den sie ebenso verheimlichen muss wie ihren Traum. Zaghaft setzt sie sich schliesslich mit dem Gedanken auseinander, das Haus zu verkaufen. Die Situation eskaliert, als Thierry davon erfährt. Und kaum merklich hat sich auch die Beziehung zwischen den Brüdern verändert.

Die Unfähigkeit der drei Figuren, sich aus ihren Rollen zu lösen, widerspiegelt sich in der Filmästhetik. Auch bildlich sind die Figuren eingezwängt: Bisweilen verharrt die Kamera fast unschlüssig vor der Tür und gibt nur preis, was durch den Türrahmen sichtbar ist. Lange Einstellungen in der Totalen ermöglichen diese Statik der Kamera. Um die Schnittfrequenz tief zu halten, spielt sich die Handlung auch schon auf zwei Bildtiefen ab: So sitzt Thierry etwa im Vordergrund im Wald, verstört und unfähig, sich aus seiner Bewegungslosigkeit zu lösen. Derweil spielt sich weit hinten, in der Tiefe des Bildes, die eigentliche Handlung ab. Erst gegen Ende des Films ist die Kamera entfesselt. Langsam löst sie sich aus ihrer Starre, entfernt sich schneller und schneller vom Haus, in die Felder und die Weite.

"Nue propriété" ist eine eindringliche Studie über das Loslösen und Verdrehen von familiären Gewohnheiten und Rollen. Das Werk beeindruckt nicht nur, weil Filmtechnik und Story miteinander verschmelzen, sondern auch wegen der hervorragenden Schauspieler, die einen an den familiären Spannungen intensiv teilhaben lassen. Zudem beweist Joachim Lafosse ein ausgesprochen scharfes Gespür und eine grosse Beobachtungsgabe für psychologische Feinheiten.

12.11.2007

5

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Kommentare

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apple01

vor 17 Jahren

Lebensnah, ergreifend und amüsant. Hervorragende Akteure.


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