Shortbus USA 2006 – 101min.

Filmkritik

Make Love not War

Beatrice Minger
Filmkritik: Beatrice Minger

John Cameron Mitchell zeigt in seinem zweiten Spielfilm expliziten Sex - aber hallo! Shortbus ist eine gewagte Verquickung von Sex und Politik. Und ein Angriff auf die Schmerzgrenzen des prüden Bush-Amerika.

Der New Yorker Swinger-Szene-Klub "Shortbus" ist eine Art Treff- und Austauschplattform sexueller Präferenzen und Praktiken jeder Prägung. Hier trifft sich eine unbekümmerte Mischung von alt und jung, schön und hässlich, schwarz und weiss, hetero, schwul, bi, trans - einerlei. Zu sehen ist alles, was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten, und noch etwas mehr. Dabei kümmert es Cameron genauso wenig wie seine Darsteller, penetrierende Penisse oder freigelegte Schamlippen zu zeigen.

Alle Menschen, die herkommen, sind Suchende. Die Paar- und Sexualtherapeutin Sofia (Sook-Yin Lee) sucht ihren ersten Orgasmus. Das schwule Pärchen Jamie (Paul Dawson) und Jamie (PJ DeBoy) wünschen sich einen dritten Mann, der neuen Schwung in ihre Beziehung bringen soll. Die Domina Severin (Lindsay Beamish) ist auf der Suche nach einer menschlichen Beziehung, und überhaupt alle sind herkommen, um Glück, Erfüllung und Liebe zu finden - indem sie ihre sexuellen Fantasien und Energien ausleben.

"It's a bit like the 60s, only without hope", bringt es der transsexuelle Besitzer des Clubs auf den Punkt. Der Mythos der sexuellen Befreiung der 60er und 70er Jahre drängt sich auf. Bereits die Vorbereitungen zum Film klingen nach hippiesker Ferienlageratmosphäre. Aufbauend auf einem Rohdrehbuch haben Regisseur und Darsteller gemeinsam die Geschichte und Figuren entwickelt. Viel Zeit wurde für die Vorbereitung der Sexszenen verwendet, indem in Workshops über Monate hinweg daran gearbeitet wurde, sich aller Hemmungen zu entledigen. Leider merkt man das dem Film auch an. Soviel Mühe sich Cameron gibt, seinen Figuren eine Kontur zu geben - der ausgefallene und ungewöhnlich explizit gezeigte Sex bleibt die Hauptattraktion.

Mit «Shortbus» macht John Cameron Mitchell aber auch ein politisches Statement. Er inszeniert Sex als Glücksversprechen und holt ihn damit aus den privaten Schlafzimmern Amerikas auf die öffentliche Leinwand. An gewissen Stellen bringt Cameron Sex und Politik gar auf eine Weise zusammen, wie es wohl noch nie auf einer Leinwand zu sehen war. In einer Szene etwa, in denen sich drei Männer in einer Art zirkulärem Blow-Job gegenseitig die Nationalhymne wahlweise in den Hintern oder in den Penis singen. Darüber hinaus verleiht Cameron der Protestparole aus den Zeiten des Vietnamkrieges neue Aktualität, indem er vorschlägt, mit "Love" statt "War" auf das Trauma von 9/11 zu reagieren. Dass er sich damit im prüden Bush-Amerika nicht beliebt macht, versteht sich von selbst. Doch der Film löste auch in Cannes äusserst kontroverse Reaktionen aus. Das Schweizer Publikum hat offenbar mehr Nerven und Humor bewiesen: «Shortbus» gewann am Zurich Film Festival den Preis als bester Nachwuchsspielfilm.

07.06.2021

4

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Kommentare

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tribuehne

vor 17 Jahren

Das einzige, was mich im Zusammenhang mit diesem Film richtig doll schockiert, ist die Erkenntnis, dass es immer noch Menschen gibt, die sich durch einen ehrlichen Umgang mit Sexualität so sehr verletzt fühlen, dass ihnen nichts besseres bleibt, als in Clichees, Vorurteilen und Rundumschlägen zu schwelgen. Ich fand den Film toll, berührend, lebendig! Nur das Ende hätte für mich nicht ganz so happy ausfallen müssen, das war etwas sehr "amerikanisch". Es dürfen ruhig mal ein paar Widersprüche stehen bleiben.

Etwas speziell fand ich es, diesen Film, der so intim ist in der quasi-Oeffentlichkeit unserer Maskengesellschaft zu sehen, in einem Raum mit Menschen, von denen zumindest einige davon so angerührt waren, wie ich, und anschliessend sind wir alle in unsere Privatschneckenhäuser davongerannt. Die Indianer sind (immer) noch fern.Mehr anzeigen


tombern

vor 17 Jahren

Genialer Film, cooler Soundtrack, nette Besetzung... einfach, und trotzdem effektvolle Umsetzung.
Ein Film der leisen Töne, wie auch der schrillen Farben... für jeden Geschmack etwas.
Unbedingt empfehlenswert.


borislav

vor 17 Jahren

Meist langweilig mit ein paar guten Szenen. Nicht zuviel erwarten.


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