Ein fliehendes Pferd Deutschland 2007 – 96min.
Filmkritik
Zwischen Eheschwank und Midlife-Crisis
Dass Rainer Kaufmann Martin Walsers Novelle "Ein fliehendes Pferd" auf die Leinwand bringt, ist ziemlich überraschend. Die Geschichte ist als Schullektüre ziemlich weit weg von jeder Art Coolness und wartet mit Protagonisten auf, die ihre Jugend schon eine Weile hinter sich gelassen haben. Ganz anders also, als sich das deutsche Kino bei Literaturverfilmungen sonst präsentiert.
Helmut und Sabine Halm (Ulrich Noethen und Katja Riemann) haftet tatsächlich eine gewissen Spiessigkeit an. Der Oberstudienrat und seine Frau verbringen Jahr für Jahr ihren Sommerurlaub am Bodensee und pflegen die Routine des Ehealltags. Gelegentlich versucht Sabine morgens noch, das Sexleben wieder in Schwung zu bringen, doch ihren Gatten zieht eher zum Vögelbeobachten ins Ried.
Dann aber begegnen die beiden Helmuts altem Klassenkameraden Klaus Buch (Ulrich Tukur), einem lebenslustigen Sprücheklopfer, und seiner jungen Freundin Helene (Petra Schmidt-Schaller). Während Helmut schon nach einem halben Tag von Klaus' guter Laune und den vermeintlichen Jugenderinnerungen die Nase voll hat, wittert Sabine die Chance auf ein wenig Abwechslung und zeigt sich begeistert von dem forschen Charmeur. Und abschütteln lassen sich die neuen alten Bekannten ohnehin nicht mehr so schnell.
Erotisches Knistern bleibt in der Viererkonstellation natürlich nicht aus, Sabine hüpft bald nackt mit Klaus in den See und der verspannte Helmut lässt sich gerne von der freizügigen Helene auflockern. Hin und wieder driftet "Ein fliehendes Pferd" dabei in eine gewisse Zotenhaftigkeit ab, etwa wenn Helene beim Kaffeeholen fragt: "Möchte jemand eine Latte?" Das passt zwar irgendwie ganz gut zu Walsers schlüpfrigem Altherrenwitz, grenzt aber oft auch ans Peinliche.
Aus der Bahn werfen können solche Albernheiten den Film allerdings kaum. "Ein fliehendes Pferd" präsentiert sich als sommerleichte und wenig bedeutungsschwangere Komödie, die Eheschwank und Reflexionen über die Midlife-Crisis spielend vereint. Natürlich ziehen irgendwann dunkle Wolken am malerischen Bodensee auf und das furiose Unwetter bringt manche emotionale Entladung mit sich. Die heitere Leichtigkeit geht dabei jedoch nicht verloren, auch weil Kaufmann - anders als Walser - am Schluss weder Halms "verbittertes Harnsäurekonzentrat von einem Leben" noch Buchs verführerisch-schnurrbärtige Luftikusnummer verurteilt.
Dank der über weite Strecken sehr präzisen Dialoge und grossartiger Schauspielern kann Kaufmann sich ohnehin darauf verlassen, dass der Zuschauer gelegentliche Überzeichnungen in Kauf nimmt. Als wahre Ereignisse entpuppen sich vor allem Riemann, die sich zu einer der stärksten und feinsinnigsten Darstellerinnen des deutschen Films gemausert hat, und natürlich Tukur, dessen unumstössliche schauspielerische Präsenz ihresgleichen sucht.
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Kommentare
Ohne die 4 Guten Darsteller wäre der Film ein Flop!!!
Ulrich Noethen spielt gut wie immer, und die zuckersüsse Petra Schmidt-Schaller, plus die schönen aufnahmen vom Bodensee, wird der Film doch noch zur sommerlichen komödie im Winter.
Der Film ist weniger klamaukhaft, als ich es aufgrund der Rezensionen erwartet hätte. Er vermag zum Nachdenken über Beziehungen anzuregen und ist doch witzig und spannend. Gefallen hat mir die Figur der Sabine, die eine sehr sinnliche intelligente Frau zeichnet. Helene ist der fleischgewordene Männertraum: hübsch, naiv, sexy und verfügbar. Sie ist so überzeichnet, dass sie eher als Sinnbild/Traumbild daherkommt. Auch die beiden Männer sind so klischeehaft dargestellt, dass sie mehr als Prototypen wirken. Seltsam das Auftauchen von Klaus am Schluss. Wie ging denn das genau? Aber eigentlich muss man es nicht wissen. Auch das spurlose Verschwinden des "Verführerpaars" zeigt, dass die beiden nicht unbedingt aus der wirklichen Welt stammen.… Mehr anzeigen
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