Die Unsanfte Frankreich 2007 – 84min.

Filmkritik

Schuld und Sühne

Filmkritik: Cindy Hertach

In spröden und beiläufigen, aber berührenden Bildern schildert Jeanne Waltz die Geschichte einer lebensmüden jungen Frau, welche zunächst grosse moralische Schuld auf sich laden muss, ehe sie nach einem schmerzhaften inneren Prozess wieder zu sich selbst und zum Leben zurück findet.

Wofür lebt man? Für die Liebe, möglicherweise. Für die Familie, für Bindungen, für eine Aufgabe. Der jungen Krankenschwester Fréd (Isild Le Besco) scheint alles ausser Letzterem abhanden gekommen sein. Einzig ihre Arbeit in einem Provinz-Spital vermag ihr noch eine lebenserhaltende Struktur bieten. Doch zu schwer lastet die Sinnleere auf der isolierten Existenz der verschlossenen Frau. Sie beschliesst, auch den letzten seidenen Faden zum Leben zu kappen. Aber die Selbsttötung misslingt. In einem anfangs noch unverständlichen Reflex schiesst sie mit ihrem Gewehr stattdessen einen Jugendlichen an. Unmittelbar nach der Tat kann sie unerkannt flüchten, um gleich darauf panisch und voller Schuldgefühle an ihren Arbeitsplatz im Krankenhaus zu erscheinen. Während sie noch mit ihrem Gewissen hadert und kurz vor dem Entschluss steht, sich der Polizei zu stellen, wird in der Zwischenzeit der verletzte Junge auf ihre Station gebracht. Der Täterin ist von da an für ihr Opfer verantwortlich.

Aus dieser unerhörten Begebenheit spinnt die in Portugal lebende Schweizer Regisseurin Jeanne Waltz bedächtig die Geschichte einer schicksalhaften Begegnung zweier junger Menschen, die an den gleichen seelischen Verletzungen zu leiden haben. Beide fühlen sie sich von jenen, die sie am meisten lieben, abgelehnt, beide verweigern sich als Reaktion darauf der Zuwendung und Zuneigung ihrer Mitmenschen. Während Fréd sich in kühler Gleichgültigkeit vor ihrer Umgebung einkapselt und körperliche Bedürfnisse in groben, sexuellen Exzessen abreagiert, drückt der vierzehnjährige Marco (Steven de Almeida) seine Verstörung in aggressivem Verhalten gegenüber seiner Umwelt aus. Ohne zu wissen, wen er als Krankenschwester vor sich hat, reagiert Marco auf Fréd's schuldgeplagte Hinwendung anfangs mit physischer und psychischer Gewalt, um jedoch schon bald zu spüren, dass sie sich in vielerlei Hinsicht ähnlich sind.

Nach und nach entsteht Raum für eine zögerliche Vertrautheit, die hauptsächlich von der beeindruckenden Darstellung der beiden jungen Schauspieler getragen wird. Vor allem die darstellerische Leistung der Französin Isild Le Besco ist überwältigend. Ihr eigentlich wunderschönes Gesicht spiegelt das innere Drama der Figur Fréd ausdrucksstark und überzeugend wider, changiert zwischen verhärmter Ohmacht, herausfordernder Aggressivität und elfenhaft zarter Verletzlichkeit. Der filmische Rahmen, mit welchem Jeanne Waltz dieses eigenwillige Gesicht umgibt, ist spröde und sparsam und sorgt dafür, dass der Blick auf das Wesentliche freigegeben wird: Auf das intime Porträt einer harten und zugleich schwachen Frau, die sich kurz vor dem Sterben für das Leben entscheidet.

26.03.2024

4

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Kommentare

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pradatsch

vor 16 Jahren

Ungesagtes wirkt am stärksten; etwa gegen Schluss, wo Marco, mit der Hantel in der Hand, seine Wut gegenüber Fred zu zügeln weiss - in solchen Momenten realisiert das Publikum, dass in beiden eine Entwicklung vorgegangen ist, die sie einander verdanken.


jugulator

vor 16 Jahren

ist genau was man an diesem Film bemängeln kann. Aber ich finde es gut dass es doch noch ab un zu ein schweizer Film in die Kinos schafft. Wer es gerne etwas zurückhaltender hat, soltle nicht zögern. Ansonsten halt ein Film den man leider schnell wieder vergisst.


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