Filmkritik
Entwurzelung und Fremdbestimmung
Ein Elefant hat bis heute tiefe Spuren hinterlassen - auf Säulen, Wänden, in Büchern und Dokumenten. Dickhäuter Raja war um 1550 vom portugiesischen König als Geschenk für Erzherzog Maximilian von Österreich ausersehen worden. Dokumentarfilmer Karl Saurer ist den Spuren gefolgt und entdeckte verblüffende aktuelle Bezüge.
Es begann wohl mit einem Fresko, einer Wandmalerei, in Südtirol. An der Fassade des gediegenen Hotels Elephant zu Brixen begegnet man einem Dickhäuter. Er gab dem Haus seinen Namen. Er war dazumal auch Gast in der heute mondänen Herberge ("Das beste Haus in Südtirol"). Doch das war vor über 450 Jahren. Was hatte der Elefant hier verloren? Was weiss man noch von dieser historischen Begebenheit?
Dokumentarfilmer Karl Saurer nahms mehr als wunder, was es mit dem Elefant auf sich hatte. Und er stiess auf eine verblüffende Geschichte aus alten Kaiserzeiten. Anno dazumal hatte der portugiesische König Johann III. dem Erzherzog Maximilian von Österreich, dem späteren Kaiser, einen Elefanten geschenkt. In Europa war man ganz giggerig auf exotische Tiere. Und so begab es sich um 1550, dass Raja auf eine lange Reise geschickt wurde - aus den Wäldern Keralas über See nach Lissabon und Genua, über die Alpen, dann über die Donau bis ins kaiserliche Wien.
Keine Angst, was jetzt folgt ist keine Geschichtsstunde, keine der üblichen Reiselektionen. Im Fokus steht ein Elefant, stehen Elefanten, mächtige Lebewesen, die wir im Zoo oder Zirkus bewundern. Die scheinbar schwerfälligen, aber sanftmütigen Dickhäuter mit dem imposanten Rüssel und kolossaler Gestalt werden im Film "Rajas Reise" zu Zeitzeugen und zum Symbol der Entwurzelung und Fremdbestimmung. Der Reiseleiter heisst P.V. Rajagopal, ein sozialpolitisch engagierter Inder und aktiver Nachfolger Gandhis. Er folgt Rajas Spuren von Lissabon bis Brixen, über den Brenner, nach Innsbruck und Passau bis Wien. Erstaunliches wird auf diesem historisch animierten Elefantentrip zu Tage gefördert. Forscher, Kuratoren, Historiker, ein Gefängnisbeamter und ein Landesarchivar berichten von Reisestationen, Relikten, Dokumenten und einem Elefantenstuhl
Der Einsiedler Karl Saurer beschreibt auf seiner Dokumentarreise, fotografiert von Hansueli Schenker, Boney Keyar und Matthias Kälin, nicht nur eine historische Episode und erzählt von einer aussergewöhnlichen Elefantenexistenz, sondern spannt den Bogen weiter. Er zeigt erstaunliche Parallelen zu heute - zu Verschickungen, Exil, Entwurzelungen und Fremdbestimmungen. Hat man gewusst, was Raja dachte, als er seine Heimat verlassen musste, heisst es eingangs des Films. Der Elefant wird zum Symbol von Existenzen, die in der globalisierten Welt verloren und untergehen. Solche Fragen und Gedanken stellen sich ganz beiläufig ein, auch weil Saurer Zuschauern dafür Raum und Zeit gibt, keine Kommentare abgibt und schulmeistert. Die Bilder und Geschichten sprechen für sich, auch wenn sie manche Besucherinnen etwas traurig stimmen. Es ist ein leiser stimmiger Film aus dem Gestern für heute, an dem Elena M. Fischli als Koautorin starken Anteil hatte.
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