Filmkritik
Fremdschämen zu Musik
Selten war Kino so exaltiert, unglaubwürdig und unfreiwillig komisch wie dieses überflüssige Machwerk über das Beziehungsdreieck zwischen Johannes Brahms und dem Ehepaar Clara und Robert Schumann.
Die Pianistin Clara Schumann will mit ihren Kindern und ihrem Mann nach Düsseldorf ziehen, wo Robert Schumann eine Anstellung als Musikdirektor antreten soll - etwas Struktur würde dem zunehmend in den Wahnsinn abgleitenden Komponisten gut tun, denkt sie. Vorher jedoch lernt das Ehepaar den jungen und wilden Johannes Brahms kennen, dessen unbekümmerte Art Clara und die Kinder, dessen Talent auch Robert begeistert.
Ein Drama um Liebe, Eifersucht, Kunst, Geschlechterrollen und die Leidenschaft der Musik hatte man sich offenbar vorgenommen. Doch leider scheitert dieses Vorhaben auf ganzer Linie: Die Figuren erstarren schon von der Anlage her im Scherenschnitt und werden zusätzlich von Drehbuch und Regie in jeder dritten Szene verraten. Vor allem Robert Schumann wird jeglicher Würde beraubt, seine psychische Krankheit in bedrückender Weise ausgestellt und durch große Gesten aus der «Klischeekiste für Filmverrückte» der Lächerlichkeit preisgegeben. Das mag einerseits am überspannten Spiel von Pascal Greggory und seiner durchgängig unsympathisch blasierten Attitüde liegen, andererseits aber gibt das Script pathetische Sätze vor, wie ein post-suizidales «Ich war im Rhein, aber nicht einmal er wollte mich haben» und die Inszenierung schickt ihn irrlichternd durch eine konstruierte Karnevalsszene, um den geistigen Kontrollverlust auch noch dem letzten Zuschauer zu demonstrieren.
Es ist dieses Hyperexplizite, die Bevormundung des Publikums, die «Clara» besonders ärgerlich macht. Jeder Konflikt wird ausgesprochen, bevor er subtil entstehen, gären und schließlich eskalieren könnte. Die Gefühle wirken dadurch behauptet, das theatrale Gehabe der Schauspieler dementsprechend aufgesetzt und leer. Da grimassiert sich Martina Gedeck durch eine intendiert emotionsgeladene Pantomime des Dirigierens, bemerkt Brahms beim vermeintlich eruptiv ins Klavier gehämmerten ungarischen Tanz «das fetzt» und sollen ausgerechnet dialektale Einsprengsel im Düsseldorfer Orchester Bodenständigkeit erzeugen. Ach ja, auch die Bildgestaltung neigt zum Pathos, die Verwendung der Musik verstärkt den Hang zum Kitsch und die konstruierten Dialoge samt seltsam gebauter «Emanzipationsgeschichte» sorgen schließlich endgültig dafür, dass die Kostümschmonzette zu allem Überfluss noch seltsam aus der Zeit gefallen scheint.
Wer anstelle dieses hölzernen Tönens eine stimmige Bildkomposition zu den zugegeben faszinierenden Schumanns sehen möchte, sollte sich also nach wie vor die «Frühlingssymphonie» mit Nastassja Kinski und Herbert Grönemeyer über die Anfänge dieses Ausnahmepaars ansehen.
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Kommentare
Ein beeindruckender Film. Das Kinopublikum bleibt nach dem Film noch still sitzen, benommen insbesondere von der emotionalen Wucht der letzten Szene, aber auch der Dichte des Films insgesamt. Martina Gedeck spielt überzeugend die besessene Pianistin, die zunächst die Werke ihres Mannes, dann des sie anhimmelnden Brahms berühmt machte. Klavier ist ihr Leben - selbst nach dem Selbstmordversuch ihres Mannes begibt sie sich ans Üben, um damit fertig zu werden, daß der Mann sie und ihre Kinderschar verlassen wollte. Geschmeichelt von den Avancen eines jungen, lebhaften Brahms, der nichts mit dem behäbigen Bild des "Papa Brahms" zu tun hat, hält sie ihrem Mann dennoch die Treue, und unterstützt ihn in seinem - vergeblichen - Bemühen, als Dirigent zu reüssieren. Vor allem aber zeigt der Film, daß Musik eine Sprache sein kann, in der Menschen miteinander reden - Johannes zu Clara, Robert zu Johannes, Clara zu Johannes.
Unverständlich ist Kyra Scheurers Kritik. Vielleicht verbaute das Studium der Drehbuch-Dramaturgie ohne Erfahrung mit der Realisierung eigener Werke die unvoreingenommene Betrachtung des Films. Robert Schumann wird "jeglicher Würde beraubt", ist unsympathisch? Pascal Greggory ist nicht der strahlende Liebhaber, den Grönemeyer gibt. Aber jemand, der Wahnvorstellungen hat, sich umbringen will, ist möglicherweise nicht der Kuschel-Romantiker, als den sich Scheurer ihn offenbar vorstellt. Es wird seinen Grund gehabt haben, daß Clara ihn während des gesamten Aufenthaltes in der Nervenklinik nur ein einziges Mal, kurz vor seinem Tod besucht hat (im Gegensatz übrigens zu Brahms, der ihn regelmäßig aufgesucht hat). Unsterbliche Liebe sieht anders aus. Pascal Greggory hat für seine Rolle Psychatrien aufgesucht, sich an zeitgenössischen Darstellungen der Nervenkranken orientiert. Psychische Erkrankung ist nicht schön anzusehen, aber sie als "würdelos" abzuqualifizieren, heißt, die Kranken zu verraten, und ihre Situation zu verleugnen. Im übrigen sei der Rezensentin das Quellenstudium empfohlen: Schumann hat sich während des Karnevals von einer Brücke in Düsseldorf gestürzt. Von "konstruiert" kann keine Rede sein.
Der Film ist musikalisch angelegt. Was Scheurer als "hyperexplizit" geißelt, ist konsequentes Stilmittel: Motive werden vorgestellt, variiert, durchgeführt. Die Bilder sind symbolisch, nicht realistisch. Das mag dem derzeitigen Trend entgegenlaufen, der selbst James Bond, der immer etwas Überrealistisches hatte, "Realismus" verordnet (so daß er zu einer Kreuzung von Bruce Willis und Matt Damon verkommt). Der Stil mag nicht den Geschmack von Scheurer treffen. Ärgerlich ist es jedoch, wenn ein Rezensent seine subjektive Vorliebe zum normativen Maßstab erhebt, ohne Respekt für das Werk und seine Autorin.
"Die Verwendung der Musik verstärkt den Hang zum Kitsch. " Hallo? Der Film handelt von der Apotheose der deutschen Romantik. Romantik! Schon mal gehört? Es geht nicht um Anton Weberns Miniaturen der Zwölftonmusik, sondern um die Musik, für die Gefühlspathos Programm war. Zwar muß niemand die Romantik lieben - dann sollte man aber auch nicht in einen Film gehen, der "Geliebte Clara" heißt, geschweige denn, darüber eine Rezension schreiben wollen.
"Eine seltsam gebaute Emanzipationsgeschichte... " - Fremdwörter sind Glückssache. "Emanzipation" bedeutete zunächst Entlassung in die Selbständigkeit, später Selbstbefreiung. In jedem Fall setzt es zunächst Unselbständigkeit voraus. Darum geht es in diesem Film überhaupt nicht. Der Film setzt ein mit Clara als gefeiertem Star auf Europas Bühnen, ihr Mann ist von ihren Konzerteinnahmen abhängig, und neidisch auf ihren Erfolg. Sie unterstützt ihn beruflich in Düsseldorf, während sie gleichzeitig den Haushalt am Laufen hält. Der Film zeigt eine starke Frau, die eigene berufliche Verwirklichung, gleichberechtigte Partnerschaft und Mutterrolle in Balance zu halten versucht, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Klingt modern? Dann ist es ein Film für unsere Zeit. Klingt nicht nach 19. Jahrhundert? Clara war eine Ausnahmeerscheinung, in der sich das heutige Publikum immer noch wiedererkennen kann.
"Kostümschmonzette" - ja, damit bezeichnet man Schamonis "Frühlingssinfonie" zutreffend. Wer ein beeindruckendes Portrait des deutschen Dreigestirns der Romantik sehen will, dem sei "Geliebte Clara" ans Herz gelegt.… Mehr anzeigen
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